Meinung

Walsers späte Wende

Michael Wuliger Foto: Marco Limberg

Meinung

Walsers späte Wende

»Wir bleiben die Schuldner der Juden«

von Michael Wuliger  19.09.2014 16:04 Uhr

Es war Martin Walser, der in seiner Frankfurter Paulskirchenrede 1998 den dumpfen Ressentiments seiner Landsleute eine literarische Stimme gab, als er von Auschwitz als »Drohroutine«, »Einschüchterungsmittel« und »Moralkeule« sprach. Jetzt, 16 Jahre später, leistet er implizite Abbitte: »Wir, die Deutschen, bleiben die Schuldner der Juden. Bedingungslos. Also absolut. Ohne das Hin und Her von Meinungen jeder Art. Wir können nichts mehr gutmachen«.

Diese Sätze schreibt Walser in seinem neuen Buch, das in dieser Woche erscheint. Es ist kein Roman, keine Novelle, sondern ein Essay, eigentlich eine ausführliche Rezension. Shmekendike blumen heißt es, im Untertitel zweisprachig jiddisch und deutsch Ein Denkmal/A dermonung für Sholem Yankev Abramovitsh.

entdeckung Sholem Yankev Abramovitsh, bekannter unter dem Pseudonym Mendele Moicher Sforim – Mendele, der Buchhändler –, geboren 1835 im weißrussischen Kapyl, gestorben 1917 in Odessa, war der »Großvater der jiddischen Literatur«. So hat ihn Scholem Alejchem einmal bezeichnet. Martin Walser, der, wie er schreibt, »kaum eine Ahnung hatte, dass es einmal eine jiddische Literatur gegeben hat«, ist auf Abramovitsh durch eine gerade erschienene wissenschaftliche Biografie der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein gestoßen.

Entdeckt hat Walser aber, wie er schreibt, nicht nur einen Schriftsteller und eine Nationalliteratur. Über Sholem Yankev Abramovitsh erschließt er sich – nicht analytisch, sondern affektiv, mit fast liebevoller Sensibilität – einen Zugang zum jüdischen Volk, das »wir umbringen wollten und zu Millionen umgebracht haben«. Von der »Befreiung der Juden aus allen Gefangenschaften der Welt« liest man da. Und davon, dass Gershom Scholem mit seiner Alija 1923 »die einzig richtige Folgerung gezogen (hat) aus den wirklichen Zuständen: Ein Jude kann nicht irgendwo leben, wo er jederzeit seines Menschenrechts beraubt werden kann«.

eingeständnis Man kann diesen kleinen Band als Eingeständnis einer erschreckend lang dauernden Ignoranz gegenüber dem Judentum lesen – oder als Zeugnis der Lernfähigkeit eines inzwischen 87-Jährigen. In jedem Fall hat Martin Walser den Toten und ihrer vernichteten Kultur in Osteuropa seine, wenn auch sehr späte, Reverenz erwiesen. Sie ist hoffentlich auch gemeint als ein Zeichen an die lebenden Juden hier in Deutschland.

Berlin

»Jeder sollte sich überlegen, ob er mit dem Teufel ins Bett geht«

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hält Koalitionen mit der AfD auf Länderebene für gefährlich

 27.12.2025

Genua

Italien geht gegen mutmaßliches Hamas-Netzwerk vor

Die Ermittler decken ein Netzwerk zur Unterstützung der islamistischen Terrororganisation auf

 27.12.2025

Berlin

Wadephul: Keine deutsche Beteiligung an Gaza-Stabilisierungstruppe

Er sei dafür, »dass Deutschland eine vermittelnde Rolle einnimmt, um der Sicherheit Israels Rechnung zu tragen«, so der Außenminister

 26.12.2025

Istanbul

Türkei nimmt 115 mutmaßliche IS-Mitglieder fest

Die Verdächtigen sollen Anschläge während der Weihnachts- und Neujahrszeit geplant haben

 25.12.2025

Australien

Mann solidarisiert sich mit Sydney-Attentätern – Festnahme

Bei dem Verdächtigen wurden Einkaufslisten für den Bau einer Bombe und Munition gefunden. Es erging bereits Anklage

 24.12.2025

Washington

US-Regierung nimmt deutsche Organisation HateAid ins Visier

Die beiden Leiterinnen wurden wegen angeblicher Zensur amerikanischer Online-Plattformen mit Einreiseverboten belegt. Die Bundesregierung protestiert

 24.12.2025

Großbritannien

Israelfeindlicher Protest: Greta Thunberg festgenommen

In London treffen sich Mitglieder der verbotenen Gruppe Palestine Action zu einer Protestaktion. Auch die schwedische Aktivistin ist dabei. Die Polizei schreitet ein

 23.12.2025

Stockholm

Was bleibt von den Mahnungen der Überlebenden?

Der Schoa-Überlebende Leon Weintraub warnt vor der AfD und Fanatismus weltweit. Was für eine Zukunft hat die deutsche Erinnerungskultur?

von Michael Brandt  23.12.2025

Israel

Netanjahu warnt Türkei

Israel will die Zusammenarbeit mit Griechenland und Zypern stärken. Gleichzeitig richtet der Premier scharfe Worte an Ankara

 23.12.2025