Meinung

Wagner wagen!

Es ist schwer, in Israel an Grenzen der Meinungsfreiheit zu stoßen. Rechte Siedler können Hetzpropaganda gegen Araber verbreiten und zu deren Vertreibung aufrufen, während israelische Friedensaktivisten jedes Wochenende ins Westjordanland pilgern, um Schulter an Schulter mit Palästinensern gegen Israels Besatzungspolitik zu protestieren. Arabische Knessetabgeordnete hielten Lobreden am Grab des Terroristenführers George Habash, der bis zu seinem Tod Israels Existenzrecht verneinte, und kehrten problemlos an ihren Arbeitsplatz im israelischen Parlament zurück. Israel – ein Land unbegrenzter Widersprüche und totaler Redefreiheit?

Nicht ganz. Der Jerusalemer Rechtsanwalt Jonathan Livni stößt regelmäßig an Israels Toleranzgrenze. Der 63-jährige Musikfan will den Bann gegen den Komponisten Richard Wagner brechen. Es herrscht kein rechtliches Verbot gegen Wagner. Doch seitdem die Vorgänger der israelischen Philharmoniker sich nach der Reichspogromnacht 1938 spontan entschlossen, Adolf Hitlers Lieblingskomponisten nicht mehr zu spielen, gilt hier ein inoffizieller Boykott gegen ihn. Versuche, Wagner zu spielen, lösen heftige Debatten aus.

Kritik Wagner gilt vielen Israelis als ideologischer Wegbereiter der Nationalsozialisten, er forderte gar den »Untergang« der Juden. Bei seinem neuen Versuch, Wagner aufzuführen, wollte Livni jeder Kritik zuvorkommen: Es war keine öffentliche Veranstaltung geplant; er verwendete Spenden, keine staatlichen Gelder. Die Musiker hatten sich freiwillig für das Konzert gemeldet – dennoch kündigten die Universität Tel Aviv und das Hilton-Hotel ihre Zusage, Livni einen Saal zu vermieten.

Dass der Wagner-Boykott andauert, liegt daran, dass der Komponist kaum Anhänger hat. Es tut kaum jemandem weh, wenn er nicht gespielt wird. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit wird als minimal empfunden. Das Verbot ist vielmehr ein Versuch, bei der jüdischen Mehrheit das Gefühl des Zusammenhalts zu erzeugen. Das ist schade. Israel muss seine Gesellschaft nicht durch künstliche Beatmung längst verstorbener gemeinsamer Gegner kitten, es gibt genügend positive Werte, auf die man sich einigen könnte. Und es wäre doch ein Sieg über den Antisemiten Wagner, wenn ausgerechnet lebendige, selbstständige Juden seine Werke aus freien Stücken spielten.

Der Autor ist freier Journalist in Israel.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Deutschland

Massive Proteste gegen neuen AfD-Nachwuchs 

Die AfD organisiert ihren Nachwuchs - Gießen erlebt den Ausnahmezustand. Zehntausende haben sich nach Mittelhessen aufgemacht, um die Gründung der Generation Deutschland zu verhindern

von Christian Schultz  30.11.2025

Rechtsextremismus

Fragezeichen nach skurriler Rede bei AfD-Jugendkongress 

Wer steckt hinter dem mysteriösen Auftritt des Mannes, der mit einer Rede im Hitler-Stil den Gründungskongress der AfD-Jugend aufmischte? Ihm droht der Parteiausschluss

von Jörg Ratzsch  30.11.2025

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 01.12.2025 Aktualisiert

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  29.11.2025