Iran-Deal

»Vorbild Nordkorea«

Der Autor sieht auch den Westen in der Verantwortung für den Tod unschuldiger Kinder im jüngsten Gaza-Konflikt Foto: ullstein bild - Martin Lengemann/WELT

Iran-Deal

»Vorbild Nordkorea«

Arye Sharuz Shalicar über die Wiederbelebung des Atomabkommens, Israels Haltung und europäische Naivität

von Ralf Balke  06.05.2021 09:00 Uhr

Herr Shalicar, in Wien laufen gerade die Gespräche über die Rückkehr des Irans und der Vereinigten Staaten an den Verhandlungstisch. Wie lautet Ihre Einschätzung dazu?
Für mich als Jude mit Wurzeln im Iran sind die Entwicklungen im Iran schon immer Thema gewesen. Meine Familie ist zwar vor der Islamischen Revolution und meiner Geburt nach Deutschland ausgewandert. Aber meine gesamte politische Sozialisation stand unter den Eindrücken dessen, was dort seit den späten 70er-Jahren geschehen ist, weshalb mich selbstverständlich auch das 2015 abgeschlossene Atomabkommen beschäftigte. Von Anfang an war klar, dass der Deal alles andere als perfekt war. Aber vielleicht besser als gar nichts, konnte man vielleicht denken.

Und heute?
Nach Abschluss des Atomdeals ist der Iran aggressiver und expansionistischer als jemals zuvor. Heute sieht man, wie er Einfluss auf den Irak, Syrien, den Libanon oder den Jemen nimmt, überall den Terror finanziert. Nach dem Ende der Sanktionen verwendete Teheran sofort Milliardensummen, um in der Region entweder seine Revolutionsgarden zu stationieren oder aber pakistanische und afghanische Söldnermilizen. Ferner rüstete er seine Marionetten Hisbollah, Hamas und Islamischer Dschihad, die Huthi-Rebellen und noch viele mehr massiv mit Waffen aus.

Aber warum hat der Westen sich dann überhaupt auf diesen Deal eingelassen?
Das hat viel mit dem Wunsch zu tun, einen Aggressor zu besänftigen. Indem man das Abkommen abschloss und die Sanktionen aufhob, hoffte man, dass der Iran mit seinen Aggressionen aufhören würde. Das wäre so, als ob die Polizei in Berlin einen Deal mit der Mafia abschließt, weil man glaubt, dass dann Ruhe herrscht. Das würde sie ja auch nie machen.

Ist man einfach nur naiv gewesen?
Vielleicht hat man vor allem in Europa, wo man sich weit weg glaubt von dem Konflikt, nicht ganz verstanden, wie der Iran funktioniert. Denn mit den Revolutionsgarden gibt es parallel zum bestehenden Militärapparat eine zweite Armee im Land. Ihr wiederum gehören große Teile der iranischen Wirtschaft. Das bedeutet, dass auch auf den ersten Blick zivile Unternehmen oftmals eine militärische Relevanz haben. Jedes zivile Nuklearprogramm, das dem Iran im Rahmen eines solchen Deals erlaubt ist, hat also immer auch eine militärische Bedeutung. Und dann ist da noch das Prinzip der Täuschung und Verstellung.

Was meinen Sie damit konkret?
Es gibt im schiitischen Islam das Prinzip der »Taqiya«, das Lügen erlaubt, wenn man sich bedroht fühlt oder es der islamischen Sache dient. Die Mullahs glauben also ihre Lügen, sie fühlen sich im Recht, wenn sie so handeln und alle an der Nase herumführen. Das ist eine ganz andere Form des Konfliktmanagements.

Also bleibt das Ziel die Atombombe?
Richtig. Der Iran hat dabei das Vorbild Nordkorea vor Augen. Auch dort hat man versucht, die Führung mit einem Abkommen von ihrem Plan, sich nuklear zu bewaffnen, abzubringen. Heute ist Nordkorea quasi unangreifbar. Das wünschen sich ebenfalls die Mullahs, damit sie ungehindert ihre Expansionspläne verwirklichen können, und zwar die Kontrolle über den gesamten sogenannten schiitischen Halbmond.

Die Atomwaffen würden also eine ohnehin bestehende Gefahr für Israel noch einmal verschärfen?
Definitiv! Deshalb ist Israel ja stets gegen das Atomabkommen gewesen. Auch weil die Entwicklung von Langstreckenraketen parallel immer weiter betrieben wurde. In dieser Einschätzung wissen wir uns auch einig mit unseren Freunden am Golf. Die iranische Bedrohung hat Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain aber auch Saudi-Arabien enger zusammenrücken lassen.

Inwieweit könnte die Opposition Israels zum Atomabkommen die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten gefährden?
Die Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Israel ist auf so vielen Ebenen derart eng und intensiv, dass selbst eine Rückkehr zum Atomdeal und unsere Kritik daran wenig ändern würden. Washington steht weiterhin unmissverständlich an der Seite Israels. Das ist etwas, was ich mir auch von Deutschland manchmal mehr wünsche.

Warum?
Wenn Deutschland es wirklich ernst meinen würde mit dem Satz, dass die Sicherheit Israels zu seiner Staatsräson gehört, dann sollte man die Bedenken aus Jerusalem schon stärker zur Kenntnis nehmen. Aber aktuell scheint Berlin eher zu den Befürwortern einer Neuauflage des Atomdeals zu gehören.

Wie wird es weitergehen?
Unabhängig davon, ob der Atomdeal erneuert wird oder nicht, glaube ich, dass der aktuelle Schattenkrieg, der zwischen dem Iran und Israel gerade stattfindet, erst einmal so weiterläuft. Israel hat gelernt, sich zu verteidigen. Und wenn es um seine Existenz geht, notfalls auch im Alleingang. Wir sind dem Iran technisch in jeder Hinsicht überlegen, auch was die Manpower und die Motivation unserer Soldaten betrifft. Anders dagegen die Situation im Iran, wo immer mehr Menschen dem Regime den Rücken kehren und nach Freiheit rufen.

Mit dem israelischen Politikberater und Autor in Israel sprach Ralf Balke.

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