Geschichte

Vor 75 Jahren: Urteil im Schauprozess gegen Kardinal Stepinac

»Er hat nie seine Stimme gegen die planmäßige Vernichtung der Juden erhoben«: Sarkophag von Kardinal Alojzije Stepinac Foto: imago images/zatletic

Als das Urteil gesprochen wurde, brandete in der zum Prozesssaal umfunktionierten Sporthalle in Zagreb Jubel auf. Der kroatische Kardinal Alojzije Stepinac nahm den Richterspruch, der vor 75 Jahren, am 11. Oktober 1946, erging, reglos entgegen. Das kommunistische Regime im damaligen Jugoslawien verurteilte den höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche in Kroatien zu 16 Jahren Haft mit Zwangsarbeit und zum Verlust seiner bürgerlichen und politischen Rechte für weitere fünf Jahre. Sein Vermögen wurde eingezogen.

Stepinac, so hieß es, habe während des Krieges mit dem in Kroatien installierten faschistischen Ustascha-Regime kollaboriert. Der Kardinal wies das zurück: »Mein Gewissen ist rein.« Hinter den Anwürfen steckte zweifellos politisches Kalkül. Tito sah in der vor allem im kroatischen Landesteil verankerten katholischen Kirche mit dem strammen Antikommunisten Stepinac an der Spitze eine politische Konkurrenz, die es auszuschalten galt.

Die einzige Begegnung der beiden Männer am 4. Juni 1945 hatte die Gegensätze deutlich gemacht. Tito drang darauf, das Verhältnis beider Seiten in einem Vertrag zu fixieren und damit eine Loslösung der Kirche von Rom zu erreichen. Stepinac ließ den Kommunistenführer abblitzen. Tito schäumte, er werde mit der »Verfolgung der Mörderpopen« beginnen - und wusste doch, dass er zu diesem Zeitpunkt wenig gegen den bei den Katholiken populären Kirchenmann ausrichten konnte. »Er hat einen Märtyrerkomplex«, so Tito.

In den Folgemonaten orchestrierte die Regierung daher eine regelrechte Kampagne gegen Stepinac. Diese gipfelte in dem Verfahren, über das der Angeklagte später sagen sollte: »Wenn mir jemand 100 Jahre lang die Leiden Christi erklären würde, würde ich das nicht so verstehen wie nach all dem, was ich bei diesem Prozess erlebt habe!« Im beginnenden Kalten Krieg machte der Westen den Kardinal, der sich überdies noch weigerte, um Begnadigung zu bitten, zu einer Ikone antikommunistischen Widerstands.

Der Prozess gegen ihn sprach tatsächlich allen rechtsstaatlichen Standards Hohn, wie die Juristin und Stepinac-Biografin Claudia Stahl schildert. 2016 wurde das Urteil von einem Gericht in Zagreb offiziell aufgehoben. Zugleich drängte das Verfahren eine echte Auseinandersetzung mit der Rolle der Kirche im Kroatien des Zweiten Weltkriegs in den Hintergrund. »Stepinac war kein Faschist oder überzeugter Anhänger des Ustascha-Regimes«, betont die Münchner Historikerin Marie-Janine Calic. »Aber die katholische Kirche und das Regime hatten gemeinsame Interessen.«

Als »mindestens ambivalent« umschreibt sie die Haltung des Erzbischofs von Zagreb. »Vereinzelt hat er sich für eine Rettung katholisch getaufter Juden eingesetzt, vor allem Kinder. Er hat aber nie seine Stimme gegen die planmäßige Vernichtung der Juden und anderer Volksgruppen erhoben«, so Calic. Auch habe sich der Kardinal nie öffentlich vom Ustascha-Regime distanziert. Besonders schwer wiege sein Schweigen angesichts der Zwangskonversion von 250.000 orthodoxen Serben zum Katholizismus.

Gleichwohl sprach Johannes Paul II. Stepinac 1998 selig; der Prozess zur Heiligsprechung stockt seit Jahren. Papst Franziskus setzte 2016 eine Kommission ein, der serbische und kroatische Historiker sowie Vertreter der katholischen und der serbisch-orthodoxen Kirche angehörten. Die Experten kamen 2017 zu dem Schluss, dass im Fall Stepinac »die vorherrschenden Interpretationen der katholischen Kroaten und der orthodoxen Serben nach wie vor unterschiedlich« seien.

Viele Kroaten verehrten Stepinac als »Vater«, so der Papstbotschafter in Kroatien, Erzbischof Giorgio Lingua, im Februar. Vielen Serben dagegen gilt er laut Historikerin Calic immer noch als »Hassfigur«. Eine Heiligsprechung könne »große Frustrationen bei denen auslösen, die einen gesellschaftlichen Ausgleich zwischen Serben und Kroaten erreichen wollen«, gibt sie zu bedenken.

Stepinac, der 1951 vorzeitig entlassen und unter Hausarrest gestellt wurde, blieb bis zu seinem Tod 1960 bei seiner Version der Geschichte: »Mein Gewissen ist rein von allem, womit sie mich belasten.«

Marie-Janine Calic: »Tito - Der ewige Partisan« Verlag C.H. Beck, München 2020, 29,95 Euro. Claudia Stahl: »Alojzije Stepinac - Die Biografie«, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017, 89 Euro.

Jerusalem

Merz: Deutschland wird immer an der Seite Israels stehen

Der Bundeskanzler bekräftigt bei seinem Israel-Besuch die enge Partnerschaft - und hofft auf konkrete Fortschritte bei Trumps Gaza-Plan

von Sara Lemel  06.12.2025

Diplomatie

»Dem Terror der Hamas endgültig die Grundlage entziehen«

Es ist eine seiner bisher wichtigsten Auslandsreisen, aber auch eine der schwierigsten. Kanzler Merz ist für zwei Tage im Nahen Osten unterwegs

 06.12.2025

Jerusalem

Merz trifft Netanjahu und besucht Holocaust-Gedenkstätte

Es ist einer der wichtigsten Antrittsbesuche von Kanzler Merz - aber auch einer der schwierigsten. In den Beziehungen zu Israel gab es in den letzten Monaten einige Turbulenzen

von Michael Fischer  06.12.2025

Akaba/Jerusalem

Merz zu Nahost-Reise aufgebrochen: Antrittsbesuch in Israel 

Das Renten-Drama ist überstanden, jetzt geht es für den Kanzler erstmal ins Ausland. Heute und morgen steht ein besonderer Antrittsbesuch auf seinem Programm

 06.12.2025

Wien

EBU: Boykott hat keine Folgen für Finanzierung des ESC 2026

Der Gesangswettbewerb steht unter Druck. Die Boykott-Welle hat laut der Europäischen Rundfunkunion aber keine Auswirkungen auf dessen Finanzierung. Es werden aktuell rund 35 Staaten erwartet

 05.12.2025

Offenbach

Synagoge beschmiert, Kinder durch Graffiti eingeschüchtert

Rabbiner Mendel Gurewitz: »Ich war der Meinung, dass wir hier in Offenbach mehr Toleranz zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Religionen haben als etwa in Frankfurt oder in anderen Städten.«

 05.12.2025

Gaza

Wie die Hamas Hilfsorganisationen gefügig machte

Einer Auswertung von »NGO Monitor« zufolge konnten ausländische Organisationen in Gaza nur Hilsprojekte durchführen, wenn sie sich der Kontrolle durch die Hamas unterwarfen

von Michael Thaidigsmann  05.12.2025

Washington D.C.

Trump plant Übergang in Phase II des Gaza-Abkommens

Der nächste große Schritt erfolgt dem Präsidenten zufolge schon bald. Ein »Friedensrat« soll noch vor Weihnachten präsentiert werden

 05.12.2025

Berlin

Linken-Chef empört über Merz-Reise zu Netanjahu

Jan van Aken regt sich darüber auf, dass er Bundeskanzler Ministerpräsident Netanjahu treffen wird

 05.12.2025