Hessen

»Viele Juden sind Verräter«

Foto: screenshot JA

Hessen

»Viele Juden sind Verräter«

Nach antisemitischem Text suchen Gemeinde und Imame das Gespräch

von Canan Topçu  01.12.2015 12:47 Uhr

Lernen wir die Juden nach dem Koran kennen», so lautet die Überschrift eines türkischen antisemitischen Textes, der auf der Internetseite der muslimischen Gemeinde im nordhessischen Melsungen veröffentlicht wurde. Der inzwischen entfernte Artikel, der in Zwischentitel wie «Juden verleugnen aufgrund ihre Neides den Propheten», «Viele Juden sind Verräter», «Juden sind geizig» unterteilt war, verwies jeweils auf Koransuren.

Selçuk Dogruer, Dialogbeauftragter beim hessischen Landesverband der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), geriet nach Bekanntwerden des antisemitischen Textes in Erklärungsnot. Der Moscheeverein ist Mitglied der DITIB, die wiederum vom türkischen Staat unterstützt wird – unter anderem mit Imamen, die als Beamte nach Deutschland entsandt werden. «Es handelt sich bei dem Text um Passagen aus einem Koran-Glossar, den ein Vorstandsmitglied des Moscheevereins eigenmächtig auf der Homepage veröffentlicht hat», sagte Dogruer der Jüdischen Allgemeinen.

Inakzeptabel Der islamische Theologe betonte, dass der Inhalt «absolut inakzeptabel» sei und in keiner Weise DITIB-Positionen wiedergebe. Der Verantwortliche habe Dogruer versichert, den kompletten Inhalt des Nachschlagwerks nicht gekannt und die antisemitische Passage nicht absichtlich veröffentlicht zu haben. Die Existenz eines – auch elektronisch verfügbaren – Glossars mit judenfeindlichen Interpretationen des Koran sei allerdings ein Indiz für Judenfeindlichkeit unter Muslimen, das will Dogruer keineswegs verhehlen.

Inzwischen ist die Seite gelöscht und das Vorstandsmitglied, das auch Web-Administrator der Homepage war, von allen seinen Posten zurückgetreten. Nach Dogruers Angaben ist der DITIB-Landes- und Bundesverband erst durch Medienberichte auf die Veröffentlichung aufmerksam geworden. «Die Moscheegemeinden betreiben ihre Internetseiten in Eigenregie.»

Die Jüdische Gemeinde Kassel reagierte unmittelbar nach dem Bekanntwerden der antisemitischen Koraninterpretation und forderte islamische Verbände auf, «den Kampf gegen Antisemitismus unter Muslimen dauerhaft und entschieden zu führen». Diese judenfeindliche Veröffentlichung sei «nur die Spitze des Eisbergs». «Wir sind nicht überrascht», erklärte Ilana Katz, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel. Das zugrunde liegende Problem lasse sich «nicht so einfach von der Festplatte entfernen».

Polizei Nach einem Gespräch mit dem Imam und Vorstandsmitgliedern der Moschee ist Katz versöhnlicher gestimmt. Bei dem Treffen am Dienstagnachmittag, das der Migrationsbeauftragte bei der Kasseler Polizei vermittelt hatte, sei man sich einig gewesen, «zu wenig voneinander zu wissen».

Zudem bedürfe es häufigerer Kontakte zwischen jüdischen und muslimischen Gemeinden. «Die muslimische Gemeinde hat uns in ihre Moschee und wir sie in die Synagoge eingeladen. Wir wollen den Weg des Dialogs gehen», erklärte Katz der Jüdischen Allgemeinen. Unterdessen stellte ein FDP-Politiker aus Mainz Strafanzeige wegen Volksverhetzung.

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen säkularen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025