Beziehung

Verschiedene Welten

Israels Premier Benjamin Netanjahu mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini am 7. November in Jerusalem Foto: Flash 90

Im vergangenen Jahr 2014 spitzte sich die europäisch-israelische Entfremdung zu. Immer mehr Staaten erkennen Palästina an, weitere werden 2015 folgen. Faktisch ändert die Anerkennung in und für Palästina nichts, aber sie ist ein Signal an Israel: »Vorsicht! Wenn ihr so weitermacht, kommt es zum Bruch, und das wird euch in Israel weniger gut bekommen als uns in Europa.« Der wirtschaftliche Schaden wird für Israel enorm – und für Europa der sicherheitspolitische im Rahmen der Terrorbekämpfung.

Es gibt ideologische Ursachen für Europas Israel-Distanz. Oft und schnell wird personalisiert, werden die »Schurken« benannt. Erst Scharon, dann Netanjahu. Das Muster ist bekannt. Die Ursachen der Israel-Distanz in Europa und der Europa-Distanz in Israel (sowie weiten Teilen der jüdischen Welt) liegen jenseits der Personen. Man findet sie in den Strukturen des Denkens und Fühlens, also der grundsätzlichen Weltsicht und Gefühlswelt.

weltsicht
Beide Weltsichten und Gefühlswelten basieren auf den »Lehren aus der Geschichte«. Es versteht sich von selbst, dass Aussagen dieser Art die Mehrheit beschreiben und nicht die Gesamtheit jeder Seite. Deshalb kann nicht von »den« Israelis, »den« Juden, »den« Deutschen oder »den« Europäern die Rede sein.

Jede Seite hat die für sie richtigen Lehren gezogen. Gerade deshalb kommen sie nicht zueinander und bleiben einander fremd. Jeder versteht den anderen nicht – gerade in der Annahme, für sich selbst die »richtigen Lehren aus der Geschichte« gezogen zu haben. Das jeweilige Missverständnis besteht darin, die jeweils eigene, »richtige« Lehre für die allgemein richtige zu halten.

Nach 1967 wurde Israel in Europa als Nahost-Supermacht wahrgenommen, und keine Supermacht ist in einem nach 1945 und bis heute eher pazifistischen Westeuropa besonders beliebt. Womit wir bei der (ge)wichtigsten Ursache wären. Das Europa politisch insgesamt dirigierende (dominierende?) Westeuropa sowie Deutschland – das Europa mitlenkt, ohne es dirigieren zu können oder zu wollen – haben aus der Geschichte gelernt: Gewalt ist kein legitimes, also zu rechtfertigendes Mittel der Politik. Bezugspunkt ist für sie seit 1945 der Zweite Weltkrieg. In Deutschland, das diesen bekanntlich begonnen und somit verbrochen hatte, wurde diese Lektion besonders verinnerlicht. Wer wollte das »den« Deutschen verübeln?

appeasement Nicht zuletzt »wir Juden« hatten uns gewünscht, dass der alte, deutsch-militaristische Geist ausgetrieben würde. Er ist ausgetrieben. Nun aber missfallen »uns« Juden außerhalb und innerhalb Israels eben diese auch von uns herbeigerufenen neuen Geister. 1938/39 hatte Deutschland die Appeasement- beziehungsweise Beschwichtigungsmächte Großbritannien und Frankreich sowie ihre faktisch ungeschützten Schützlinge verhöhnt und angegriffen, inzwischen ist Deutschland selbst auf Appeasement bedacht.

Kämpfen zu müssen, um überleben zu können, meinen »die« Israelis, meint die jüdische Mehrheit im jüdischen Staat. Gewalt wird in Israel als notwendiges und deshalb gerechtfertigtes Mittel der Politik betrachtet. Notfalls auch vorwegnehmende Gewalt nach dem Motto: Ein kleiner, kurzer Waffengang ist zwar schlecht, aber besser als ein großer und langer Krieg.

Israelis erklären Europäern und diese jenen ihre Weltsicht. Das Gespräch gleicht einem Dialog der Taubstummen. »Land für Frieden« – diese Formel hat Europa nach 1945 wirklich Frieden gebracht. Man denke an die bundesdeutsche Ostpolitik seit Willy Brandt. Israel gab von 1974/75 bis 1982 Land an Ägypten zurück. Das hat sich bewährt, war aber unter Mursi, dem Muslimbrüder-Präsidenten, heikel.

raketen Israel hat den Südlibanon im Jahre 2000 geräumt und Hisbollah-Raketen bekommen. Israel hat 2005 den Gazastreifen geräumt und dafür Hamas-Raketen bekommen. Nicht »Land für Frieden«, sondern »Für Land weiter Krieg« – das ist die Erfahrung Israels. Sie bestätigt Israels Haudegen und schwächt die Friedensbereiten.

Wenn jede Seite nur ihre eigenen, für sie richtigen Lehren für die allgemein richtigen hält, werden beide auch in Zukunft nicht zueinander kommen. Die Weichheit Europas hat ebenso ihren berechtigten Seinsgrund wie Israels Härte und der Wunsch der Palästinenser, ihr Dasein selbst zu bestimmen. Schwarz oder weiß ist nie allgemein richtig.

Bezogen auf Nahost begehen die meisten politischen Denker und Macher den gleichen konzeptionellen Fehler wie im Falle der Ukraine: Sie denken in Kategorien eines einheitlichen Staates. Das ist üblich, aber völlig unrealistisch. Warum? Weil einheitlich konstruierte Staaten nicht der ethnischen, kulturellen, sprachlichen oder religiösen Vielfalt ihrer Bevölkerung entsprechen. Föderale, »bundesrepublikanische« Muster sind die Lösung. Nur so kommt Frieden. In Nahost, der Ukraine, weltweit. Sowohl Europa als auch Israel werden das irgendwann einsehen. Wann?

Der Autor ist Historiker und Verfasser der Bücher »Wem gehört das Heilige Land?«, »Juden und Christen« sowie »Zum Weltfrieden«.

Bundestag

Zentralrat verteidigt Weimers Gedenkstättenkonzept

Der Ausschuss für Kultur und Medien hörte Experten zu der Frage an, ob über den Holocaust hinaus auch andere Verbrechen Teil der deutschen Erinnerungskultur sein sollen

 19.12.2025

Frankreich

Drei Jahre Haft für antisemitisches Kindermädchen

Ein französisches Gericht hat eine Algerierin zur einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie einer jüdischen Familie Reinigungsmittel ins Essen, Trinken und die Kosmetika mischte

 19.12.2025

Berlin

Bericht über Missbrauch internationaler Hilfe durch Hamas im Bundestag vorgestellt

Olga Deutsch von der Organisation NGO Monitor sagt, während die Bundesregierung über Beiträge zum Wiederaufbau Gazas berate, sei es entscheidend, auf bestehende Risiken hinzuweisen

von Imanuel Marcus  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

»Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben«, schreibt Rafael Seligmann

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 19.12.2025

Tel Aviv/Berlin

Israel unterzeichnet weiteren Vertrag mit Deutschland über Raketenabwehr

Es handelt sich um das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des jüdischen Staates

 19.12.2025

Sydney/Canberra

Nach Terroranschlag von Bondi Beach: Australien plant nationalen Trauertag

Die Regierung kündigt zudem umfassende Maßnahmen an. Dazu gehört eine landesweite Rückkaufaktion für Schusswaffen

 19.12.2025

New York

Antisemitische Äußerungen: Mitglied von Mamdanis Team tritt zurück

Die Tiraden von Catherine Almonte Da Costa sorgen für Entsetzen

 19.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025