Geschichte

Verleugnete Opfer der NS-Zeit

Unter den Linden mit Blick in Richtung Brandenburger Tor (1939) Foto: picture alliance / akg-images

Bei Frank Nonnenmacher aus Frankfurt am Main war es der Onkel, bei Ines Eichmüller aus Nürnberg der Opa: Mitglieder der Familie, die unter den Nationalsozialisten als sogenannte »Asoziale« oder »Gewohnheitsverbrecher« in die Konzentrationslager verschleppt
wurden. In vielen betroffenen Familien ein Tabuthema, ebenso wie in
der heutigen Gesellschaft.

Vor drei Jahren beschloss der Bundestag, diese Menschen endlich
als NS-Opfergruppe anzuerkennen. In Nürnberg soll nun an diesem
Wochenende ein Verband der Angehörigen gegründet werden. »Wir wollen in der Erinnerungskultur präsent sein«, erklärt der Mitinitiator und emeritierte Professor Nonnenmacher.

Stand der Holocaust an den europäischen Juden am Anfang der Aufarbeitung, erkämpften sich nach und nach auch andere Opfergruppen
die Wahrnehmung der Öffentlichkeit: Kommunisten, Christen, Sinti und
Roma oder Homosexuelle. Nahezu vollständig ausgeblendet aus Erinnerung, Forschung und Wiedergutmachung aber waren die Träger des
schwarzen oder grünen Winkels in den KZ: Mit ihnen kennzeichneten die
Nazis die »Asozialen« und »Berufsverbrecher«.

Dass diese Menschen bisher kaum gesehen wurden, hat auch mit der
Einschätzung von Überlebenden der Konzentrationslager zu tun. Eugen
Kogon, der das KZ Buchenwald überlebte, schrieb in seinem Buch »Der
SS-Staat«, von »üblen, zum Teil übelsten Elementen«, die andere
Häftlinge schikanierten.

Wer den grünen Winkel trug, stand in der Rangfolge der KZ-Gefangenen ganz unten. »Ein großer Teil dieser Menschen war so, dass man die Umwelt tatsächlich vor ihnen schützen musste«, schrieb die Wiener Ärztin Ella Lingens, selbst Gefangene in Auschwitz.

Erst spät nahm sich die historische Forschung dieses Themas an und
begann ein differenziertes Bild dieser Opfergruppe zu zeichnen. Zum
Beispiel von den »vergessenen Frauen von Aichach«. Aus dem größten
bayerischen Frauengefängnis wurden ab 1943 mindestens 326 Frauen nach Auschwitz deportiert, wo die meisten innerhalb weniger Wochen
umkamen. Dabei handelte es sich um Gefangene in Sicherheitsverwahrung, darunter Frauen, die wegen kleiner Diebstähle, Abtreibungen, Prostitution oder Betrugs mehrfach verurteilt waren.

Über die Nachkriegszeit schreibt der Wissenschaftliche Dienst des
Bundestags: »Tatsächlich fand die Diskriminierung der ‚Asozialen‘ in
den Lagern durch das Aufsichtspersonal und die Mithäftlinge ihre
Fortsetzung in der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen
Opfergruppen in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften.«

Eine organisierte Interessenvertretung für diese NS-Opfer habe es nie
gegeben. »Die nach Kriegsende rasch gegründeten Opferverbände
erkannten ehemalige ‚asoziale‘ und ‚kriminelle‘ Mithäftlinge nicht
als Leidensgenossen an und lehnten es ab, sie als Mitglieder aufzunehmen oder deren Interessen wahrzunehmen. Vielmehr wurden sie als lästige Konkurrenten im Kampf um Anerkennung und Entschädigung
empfunden.«

Demgegenüber stellte der Bundestag nach 75 Jahren fest: Niemand
wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält und
ermordet. Das war der Initiative Nonnenmachers zu verdanken, der eine
Petition auf den Weg gebracht hatte.

»Der Bundestag hat beschlossen, dass die jahrzehntelange Vernachlässigung der Forschung angegangen wird, aber wo bleiben dafür
die finanziellen Mittel?«, beschreibt Nonnenmacher die Auslöser für
die Gründung des Angehörigenvereins. Als Verband könne man mehr
politischen Einfluss geltend machen. Ungeklärt sei auch die Erforschung der Verfolgungsinstanzen, etwa welche Rolle die Kriminalpolizei gespielt habe.

Ein Problem auf dem Weg zur Organisation ist auch die Sprache. Die
NS-Begriffe »Asoziale« oder »Gewohnheitsverbrecher« wolle man nicht
benutzen. »Verband für die verleugneten NS-Opfer« sei ein Vorschlag,
erklärt Nonnenmacher. Denn sie seien verbal jahrzehntelang verleugnet
worden, auch in den betroffenen Familien. Deren Angehörige hat
Nonnenmacher aufgerufen, sich an der Verbandsgründung in Nürnberg zu beteiligen.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Israel

Altkanzlerin Merkel besucht Orte der Massaker

Angela Merkel besuchte den Ort des Nova-Festivals und den Kibbuz Nahal Oz

 13.11.2025

Schleswig-Holstein

Polizei nimmt weiteren Hamas-Terroristen fest

Mahmoud Z. soll ein Sturmgewehr, acht Pistolen und mehr als 600 Schuss Munition für Anschläge gegen jüdische und israelische Einrichtungen organisiert haben

 13.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten klettern auf Brandenburger Tor

Oben angelangt entrollten sie ein Banner, auf dem sie Israel Völkermord vorwarfen

 13.11.2025

Diplomatie

Israel drängt Merz auf Ende des Teilwaffenembargos

Der Bundeskanzler hatte am 8. August angeordnet, keine Güter auszuführen, die im Krieg gegen die Hamas verwendet werden könnten

 13.11.2025

Entscheidung

Waffen an Israel: Berliner Gericht weist Klagen ab

Sechs überwiegend in Gaza wohnende Personen klagten in zwei Fällen gegen deutsche Waffenlieferungen an Israel. Das Berliner Verwaltungsgericht sieht die Klagen als unzulässig an

 13.11.2025

Interview

»Wir müssen viel mehr für die Rückführung von Antisemiten tun«

Der Bundestagsabgeordnete Johannes Volkmann (CDU) über den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland, die zögerliche Reaktion der Politik und Abschiebungen als Gefahrenabwehr

von Joshua Schultheis  13.11.2025

Berlin

Wegner setzt im Fördermittelstreit auf Aufklärung

»Es sind Vorwürfe im Raum, die muss man sich genau anschauen. Und dann werden wir gegebenenfalls, wenn es notwendig ist, die richtigen Konsequenzen ziehen«, betont der Regierende Bürgermeister

 12.11.2025