Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die AfD nach mehrjähriger Prüfung als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Der Verdacht, dass die Partei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolge, habe sich bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet, teilte der Inlandsgeheimdienst mit.
Die Diskussion über ein AfD-Verbotsverfahren nahm damit wieder Fahrt auf. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte aber vor einem »Schnellschuss«.
Faeser: Kein politischer Einfluss auf Gutachten
Die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, der Inlandsnachrichtendienst habe die Entscheidung zur neuen Einstufung der AfD eigenständig getroffen. »Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben«, versicherte Faeser.
Die beiden AfD-Vorsitzenden, Tino Chrupalla und Alice Weidel, schrieben in einer Mitteilung, die AfD als Oppositionspartei werde nun »kurz vor dem Regierungswechsel öffentlich diskreditiert und kriminalisiert«. Das sei erkennbar politisch motiviert. Die Partei werde sich weiter juristisch wehren. Kurz darauf schickte die Kanzlei, die die AfD vertritt, eine Abmahnung an das Bundesamt. Darin heißt es, man halte sowohl die Einstufung als auch die Bekanntgabe dieses Umstands für offensichtlich rechtswidrig. Zuständig für Klagen gegen den Verfassungsschutz ist in erster Instanz das Verwaltungsgericht in Köln, wo das Bundesamt seinen Sitz hat.
Rufe nach Verbot der Partei
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, Daniel Günther (CDU), verlangte im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«: »Der Bund muss jetzt zügig ein Verbotsverfahren einleiten, um unsere Demokratie zu schützen.« Auch die CDU-Arbeitnehmerschaft sprach sich dafür aus. »Das Urteil des Verfassungsschutzes liefert die notwendige Grundlage für ein Verbotsverfahren«, hieß es in einer Stellungnahme des geschäftsführenden Vorstands der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), über die zuerst der »Stern« berichtet hatte. Allein mit besserer Politik werde es extrem schwer, dagegenzuhalten.
Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, sagte: »Das Verbotsverfahren gegen die AfD muss endlich auf den Weg gebracht werden.« Man dürfe nicht akzeptieren, dass eine rechtsextremistische Partei die Demokratie »von innen bekämpft und zerstört«.
Etwas vorsichtiger formulierten Konstantin von Notz und Irene Mihalic von den Grünen. Sie erklärten, die Neubewertung sei »ein wichtiger Baustein mit Blick auf die Frage, wie es um die Erfolgsaussichten eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens bestellt ist«.
Ein Verbot dürfen Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat beantragen. Entschieden wird über den Antrag vom Bundesverfassungsgericht.
Kritik an der Entscheidung des Inlandsgeheimdiensts übte Sahra Wagenknecht. »Die Neubewertung der AfD durch den Verfassungsschutz ist in der Sache fraglich und politisch kontraproduktiv«, sagte die BSW-Gründerin der »Welt«.
Verfassungsschutz sieht Verletzung der Menschenwürde
Der Verfassungsschutz teilte zur Begründung seiner Neubewertung mit: »Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.« Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. »Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes.«
Äußerungen und Positionen der Partei und führender AfD-Vertreter verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, erklärten die Vizepräsidenten der Behörde, Sinan Selen und Silke Willems. Dies sei maßgeblich für die nun getroffene Einschätzung. Faeser sagte, die vorherige Bewertung der Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall sei von Gerichten bestätigt worden. Auch die neue Bewertung werde sicher von unabhängigen Gerichten überprüft werden.
Lindholz: AfD-Abgeordnete sollten austreten
AfD-Abgeordnete sollten aus Sicht von Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) keine repräsentativen Funktionen im Parlament bekleiden. »Als gesichert rechtsextremistische Gruppierung ist die AfD keine Partei wie jede andere«, sagte Lindholz der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb solle sie auch nicht so behandelt werden - vor allem nicht im Parlament. »Eine Wahl von AfD-Vertretern in repräsentative Funktionen wie das Bundestagspräsidium oder Ausschussvorsitze halte ich nun für kaum mehr denkbar.«
Sie fügte hinzu: »Jeder AfD-Abgeordnete muss sich vielmehr nun entscheiden, ob er zu unserer Grundordnung steht und aus der Partei austritt oder ob er prominenter Teil einer extremistischen Bestrebung sein will.«
Der designierte Unionsfraktionsvorsitzende, Jens Spahn (CDU), hatte sich dafür ausgesprochen, mit der AfD im Parlamentsbetrieb so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch. Dies löste eine Kontroverse aus. Die AfD stellt im neuen Bundestag nach der CDU/CSU die zweitstärkste Fraktion.
Der designierte neue Bundesinnenminister, Alexander Dobrindt (CSU), geht wie Faeser davon aus, dass es zu einer gerichtlichen Überprüfung der Einstufung kommt. »Unabhängig davon führt das Gutachten zwingend dazu, dass eine weitere Beobachtung der AfD stattfinden wird«, sagte er weiter.
Faeser: Kein Automatismus für Verbotsverfahren
Auf die Frage der Deutschen Presse-Agentur nach einem möglichen Verbotsverfahren gegen die AfD antwortete Faeser in Wiesbaden, diese »sollten wir immer von der notwendigen politischen Auseinandersetzung trennen«. Aus guten Gründen gebe es sehr hohe verfassungsrechtliche Hürden. Ein Verbotsverfahren »sollte man nicht ausschließen, aber weiterhin sehr vorsichtig damit umgehen«, sagte sie. »Es gibt jedenfalls keinerlei Automatismus.«
Drei Landesverbände bereits zuvor gesichert rechtsextremistisch
Die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits zuvor als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
Nachdem Medien im Februar 2021 über eine mutmaßliche Einstufung der Gesamtpartei als sogenannter Verdachtsfall berichtet hatten, musste der Verfassungsschutz auf Geheiß des Kölner Verwaltungsgerichts noch rund ein Jahr warten, bis er diese Einschätzung publik machen und die Partei entsprechend beobachten konnte. Im Mai 2024 entschied das Oberverwaltungsgericht Münster dann, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat. Der Rechtsstreit geht noch weiter.
Einsatz von V-Leuten möglich
Schon bei einer Beobachtung als Verdachtsfall ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erlaubt: etwa der Einsatz sogenannter V-Leute – also Menschen mit Zugang zu internen Informationen -, auch Observationen oder Bild- und Tonaufnahmen. Bei Auswahl und Einsatz der Mittel muss allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.
Bei einem als gesichert extremistisch eingestuften Beobachtungsobjekt sinkt die Schwelle für den Einsatz solcher Mittel. Mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das BfV zwar vordergründig nichts zu tun. Eines der drei Verfassungsorgane Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat könnte sich nun aber ermutigt fühlen, in Karlsruhe ein Verbot zu beantragen.
Gutachten wird nicht veröffentlicht
Grundlage der nun getroffenen Entscheidung ist ein umfangreiches Gutachten des BfV, das nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt ist und nicht veröffentlicht werden soll. Eingeflossen sind auch Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf.