Interview

»Verantwortung für die Gegenwart«

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: Thomas Lohnes

Herr Schuster, Sie haben an mehreren Veranstaltungen zur Befreiung der Konzentrationslager vor 70 Jahren teilgenommen, zuletzt in Bergen-Belsen und Dachau. Welchen Eindruck hatten Sie vom Gedenken?
Ich fand es sehr bemerkenswert, dass der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin an verschiedenen Gedenkfeiern teilgenommen und sich dabei klar positioniert haben. Das war für die Überlebenden ein wichtiges Signal. Ihre Aussagen sind ja nicht nur Lippenbekenntnisse, daher haben sie auch für die jüdische Gemeinschaft insgesamt hohe Bedeutung und zusätzliches Vertrauen geschaffen.

In Dachau haben Sie die Bedeutung authentischer Orte, besonders für junge Menschen, betont. Fordern Sie deshalb Pflichtbesuche von Schülern in KZ-Gedenkstätten?
Erst wenn junge Menschen die authentischen Orte besuchen, bekommen sie eine Ahnung davon, wie es gewesen ist. Die direkte Begegnung mit historischen Orten kann auch ihnen verdeutlichen: Ihr seid nicht schuldig, aber ihr tragt Verantwortung für die Gegenwart! Deshalb ist es mir so wichtig, dass Schüler aller weiterführenden Schulen einmal eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Auch für die Abschlussklassen der Mittelschulen sollte ein solcher Besuch verpflichtend sein. Ich hoffe, dass mein Vorschlag im Bayerischen Landtag noch einmal wohlwollend geprüft und auch in anderen Bundesländern aufgegriffen wird.

Derzeit wird bei verschiedenen Anlässen der Weltkriegstoten – auch der deutschen – gedacht. Setzt das Erinnern zum 70. Jahrestag des Kriegsendes die richtigen Akzente?
Nach meinem Eindruck ist bei den Gedenkfeiern zum Kriegsende der Gedanke Richard von Weizsäckers, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war, in den Mittelpunkt gerückt. Das ist sehr zu begrüßen. Und wenn bei einer Gedenkfeier auch der einfachen Soldaten gedacht wird, der jungen Männer, die damals eingezogen wurden und nicht mit Begeisterung in den Krieg gezogen sind, finde ich das nicht verwerflich.

In München wurde eine ganz andere Form des Erinnerns diskutiert: Stolpersteine. Die Parteien haben sich jetzt auf einen Kompromiss geeinigt. Was halten Sie davon?
Ich halte die Stolpersteine für eine gute Form des Gedenkens. Aber sie haben keinen Alleinvertretungsanspruch. Es gibt auch andere Möglichkeiten, wie das Gedenken gestaltet werden kann. Daher habe ich an den geplanten Stelen nichts auszusetzen.

Aber in München wird es keine Stolpersteine geben. Soll die Aktion des Künstlers Gunter Demnig andernorts fortgesetzt werden?
Das eine schließt ja das andere nicht aus. Selbstverständlich kann es in anderen Orten weiterhin Stolpersteine geben. Ich habe mich erst jüngst in einem sehr konstruktiven Gespräch mit Herrn Demnig über sein Projekt unterhalten. Er will künftig vor so umstrittene Begriffe aus der NS-Zeit wie etwa »Wehrkraftzersetzer« das Wort »sogenannt« setzen. Damit wird die Distanzierung von diesen Nazi-Kategorien deutlicher als bisher.

Mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden sprach Detlef David Kauschke.

Berlin

Friedrich Merz besucht Israel

Als Kanzler ist es sein erster Aufenthalt im jüdischen Staat. Die Beziehungen hatten zuletzt unter Druck gestanden

 25.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  25.11.2025

Israel

Antisemitismus-Beauftragter wirft Sophie von der Tann Verharmlosung der Hamas-Massaker vor

Die ARD-Journalistin soll in einem Hintergrundgespräch gesagt haben, dass die Massaker vom 7. Oktober eine »Vorgeschichte« habe, die bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches zurückreiche

 25.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  25.11.2025

Ramallah

Nach Hammer-Angriff auf Israeli - mutmaßlicher Täter getötet

Vor mehr als einem Jahr kam ein israelischer Wachmann im Westjordanland bei einem Angriff ums Leben. Seitdem haben israelische Sicherheitskräfte nach dem flüchtigen Täter gesucht

 25.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Entscheidung

Berlin benennt Platz nach Margot Friedländer

Jahrzehntelang engagierte sich die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer für Aussöhnung. Nun erfährt die Berlinerin nach ihrem Tod eine besondere Ehrung

 25.11.2025

Hanau

Rabbiner antisemitisch beleidigt

Für die Gemeinde ist die Pöbel-Attacke kein Einzelfall

 25.11.2025

Berlin

RIAS: Polizei erfasst antisemitische Taten lückenhaft

Der Bundesverband sagt, es gebe strukturelle Probleme, Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen und ein insgesamt unzureichendes Bild antisemitischer Hasskriminalität in den offiziellen Statistiken

 25.11.2025