Deutschland

»Tun Sie was, Herr Honecker!«

Beate Klarsfeld Foto: dpa

Deutschland

»Tun Sie was, Herr Honecker!«

Beate Klarsfeld über bisher unveröffentlichte Stasi-Akten, den NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner und den Mauerfall

von Philipp Peyman Engel  15.08.2011 09:51 Uhr

Frau Klarsfeld, können Sie sich noch darin erinnern, wo Sie waren, als 1989 die Mauer fiel?
Aber natürlich! Ein solch historischer Moment brennt sich einem unweigerlich ins Gedächtnis ein. Ich war in Paris und fuhr gleich am Tag darauf nach Berlin, um die Öffnung der Stadt mitzuerleben. Ich war glücklich und traurig zugleich. Denn ausgerechnet der Fall der Mauer, der den Menschen in der DDR die Freiheit brachte, verhinderte den jahrelang von meinem Mann Serge und mir vorbereiteten Plan, den Massenmörder Alois Brunner von der DDR verhaften zu lassen.

Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit der DDR?
Wir hatten das erste Mal Kontakt aufgenommen, nachdem ich den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geohrfeigt hatte, um auf dessen einstige NSDAP-Mitgliedschaft hinzuweisen. Ich wollte Einblick bekommen in Kiesingers Akten, die seinerzeit in Potsdam lagerten und seine Verstrickung in das NS-Regime dokumentierten. Um der Bundesrepublik zu schaden, half die DDR mir selbstverständlich nur allzu gerne.

Hatten Sie keine Bedenken, mit der Stasi zu kooperieren?
Nein. Wir haben uns nie vereinnahmen lassen. Uns ging es einzig und allein darum, Nazi-Verbrecher vor Gericht zu bringen und die braune Vergangenheit führender deutscher Politiker bekannt zu machen. Im Fall Brunner war das nicht anders. Ich erinnere mich, wie ich Erich Honecker 1988 bei dessen Besuch im Elysée-Palast beim Sekt höflich, aber bestimmt aufforderte: »Tun Sie was, Herr Honecker!« Nach einigem Hin und Her beschloss Honecker im April 1989, dass Brunner verhaftet werden sollte. Kurz darauf war die DDR Geschichte.

Glauben Sie, es wäre ohne die Wende zu einer Auslieferung Brunners gekommen?
Ohne Zweifel. Wäre die Mauer ein oder zwei Jahre später gefallen, hätte man Brunner nach Ost-Berlin gebracht und verurteilt. Ein Prozess gegen Eichmanns Stellvertreter wäre für die DDR weltweit kostenlose PR gewesen, was sie damals mehr als gebrauchen konnte. Und wenn Honecker höchstselbst erst einmal etwas beschlossen hatte, war das in einem Land wie der DDR quasi Gesetz.

Brunner war bereits in den 50er-Jahren nach Damaskus geflüchtet. Warum ist es auch zu einem früheren Zeitpunkt nie gelungen, ihn zu verhaften?
Er wurde von den Syrern Zeit seines Lebens geschützt. Assad senior zum Beispiel war ein lupenreiner Antisemit, er hasste die Juden. Und jemand, der wie Brunner den Tod von über 100.000 Juden verantwortete, war für Assad und große Teile der arabischen Welt zwangsläufig ein Held. Zudem war Brunner nach allem, was wir wissen, auch in Waffengeschäfte verwickelt, weswegen er Syrien sehr nützlich war.

Kürzlich wurde bekannt, dass in der Regierungszeit von Helmut Kohl alle Unterlagen zum Fall Brunner vernichtet wurden. Sollte der Nazi-Verbrecher geschützt werden?
Jedenfalls unterließ ausnahmslos jede Regierung der Bundesrepublik jegliche Anstrengung, ihn zu fassen. Meiner Auffassung nach ein Armutszeugnis sondergleichen.

Es wird vermutet, dass die Briefbombe, die 1980 Brunners linke Hand zerfetzte und seine Augen verletzte, auf das Konto des Mossad ging. Hatten auch Sie und Ihr Mann etwas damit zu tun?
Serge und ich hatten Brunner beschattet und teilten dem Mossad Brunners Adresse mit. Eine Entführung wie bei Eichmann hätte leicht einen Krieg mit Syrien auslösen können, deshalb haben sich die Israelis wohl für den anonymen Postweg entschieden. Das Unterfangen scheiterte leider, aber im Gegensatz zu allen anderen Staaten hat Israel in dieser Sache wenigstens etwas erreicht. Ich bezweifle, dass Brunner sich danach jemals wieder sicher fühlte.

Mit der Journalistin sprach Philipp Engel.


Die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld, 1939 in Berlin geboren, arbeitete 1960 als Au-pair-Mädchen in Paris und war 1963–1968 Sekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Sie setzte sich für die Aufdeckung von NS-Verbrechen ein und führte medienwirksame Kampagnen gegen zahlreiche, nicht verurteilte Täter. 1968 wurde sie weltweit bekannt, als sie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen seiner NSDAP-Vergangenheit öffentlich ohrfeigte.

Krieg

Luftwaffe fliegt Deutsche aus Israel aus. Die Maschinen sind auf dem Rückweg in die Bundesrepublik

Die Hintergründe

von Anna Ringle  20.06.2025

Standpunkt

Vom Iran-Geschäft zum Krieg

Die verfehlte europäische Politik gegenüber dem Terror-Regime hat die israelischen Präventivschläge notwendig gemacht

von Stephan Grigat  20.06.2025

Meinung

Es geht um mehr als Deeskalation oder »Drecksarbeit«

In der deutschen Debatte um Israels Luftschläge gegen das Teheraner Regime wird das entscheidende ausgeklammert: die seit langem völlig verfehlte deutsche Iranpolitik

von Constantin Ganß  20.06.2025

Nikosia

Zypern bestätigt Ankunft von US-Militärflugzeugen

Die Menschen auf Zypern bemerken Nacht für Nacht die Raketen und die Luftabwehr über Israel. Nun verlegt das US-Militär Tank- und Transportflugzeuge auf die Insel

 20.06.2025 Aktualisiert

Umfragen

Mehrheit der Amerikaner wollen keine US-Beteiligung am Krieg gegen Iran

Zugleich sehen die meisten US-Bürger die Gefahr, die vom Teheraner Regime ausgeht

 20.06.2025

Nahost

UN arbeiten an Krisenplänen für Iran-Flüchtlinge

Menschen fliehen im Iran vor den israelischen Angriffen auf ihr Regime und dessen Atomprogramm. Manche suchen außerhalb der Städte Zuflucht, andere verlassen das Land. Wie sich das UN-Flüchtlingshilfswerk darauf einstellt

 20.06.2025

Großbritannien

Palästina-Aktivisten auf Rollern in Militärbasis eingedrungen

Die Gruppe »Palestine Action« will dabei zwei Transportflugzeuge der britischen Luftwaffe beschädigt haben

 20.06.2025

Krieg gegen Iran

Irans Außenminister lehnt Verhandlungen ab

Drei europäische Außenminister wollen in Genf Gespräche mit ihrem iranischen Amtskollegen führen. Es geht um eine Deeskalation im Konflikt mit Israel. Doch aus Teheran kommen andere Töne

 20.06.2025

Umfrage

Ansehen Israels in Deutschland verschlechtert sich seit Hamas-Massakern

Nur noch 13 Prozent der Befragten halten den Krieg gegen die Terroristen der Hamas für angemessen

 20.06.2025