Interview

»Trump hat Amerika als Führungskraft aus dem Spiel genommen«

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Interview

»Trump hat Amerika als Führungskraft aus dem Spiel genommen«

Der grüne Europapolitiker Sergey Lagodinsky über die Folgen des Eklats zwischen dem US-Präsidenten und Ukraine-Präsident Selenskyj und die europäischen Verteidigungspläne

von Michael Thaidigsmann  05.03.2025 10:48 Uhr

Herr Lagodinsky, Donald Trump hat die Militärhilfe für die Ukraine eingestellt. Sein Treffen mit Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus endete im Eklat. Ist das transatlantische Verhältnis irreparabel beschädigt?
Ob es irreparabel beschädigt ist, weiß ich nicht. Aber es erlebt gerade eine schwere Belastung.

Was bedeutet das Aus der US-Militärhilfe für die Ukraine? Gerät sie nun auf dem Schlachtfeld ins Hintertreffen?
Noch hat die Ukraine Reserven für ein paar Monate. Danach wird es schwierig. Vor allem die Abwehr der Städte vor Luftangriffen wäre dann sehr erschwert. Allerdings sollen wir abwarten, ob es nicht doch noch zu einer Einigung mit den Amerikanern kommt.

Hätte Selenskyj im Oval Office nicht besser geschwiegen, anstatt zu widersprechen?
Er hätte sicher diplomatischer auftreten können. Aber das sagt sich leicht. Er ist Präsident eines Landes, das seit drei Jahren gnadenlos zerbombt wird, und er ist persönlich eine Zielscheibe des Kreml. Selenskyjs Reaktion war nachvollziehbar. Die Menschen, die da saßen und ihn erniedrigt haben, sind vom moralischen Anspruch, den man an anständige Demokraten stellen darf, weit entfernt. Die Ukraine ist keine Verfügungsmasse für andere Staaten. Kein Land in Europa würde so mit sich umspringen lassen.

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Meint Trump es überhaupt ernst mit dem Frieden? Oder will er nur die Beziehungen zu Russland verbessern, während ihm alles andere egal ist?
Wir wissen es nicht. Schlimm genug, dass dieser Konflikt für ihn eine Übung im »Dealmaking« ist. Manchmal ist einem gar nicht klar, von welchem Abkommen der Präsident gerade redet, wenn er das Wort »Deal« in den Mund nimmt. Vielleicht läuft das im New Yorker Immobiliengeschäft so, seriöse Politik ist das aber nicht. So kann und sollte man eine Weltmacht nicht führen. Unter Trump hat sich Amerika als Führungskraft weitgehend selbst aus dem Spiel genommen.

Welche Folgen hat das?
Es ist ein Weckruf für Europa. Wir müssen jetzt schnell zu einer Verteidigungsunion europäischer Staaten kommen, die einander vertrauen, also ohne Ungarn, ohne die Slowakei und ohne neutrale Staaten wie Österreich.

Würde das die NATO nicht überflüssig machen?
Nein. Das muss eine freiwillige Übereinkunft von Staaten sein, die mehr in ihre Verteidigung investieren wollen und die sich aufeinander verlassen können. Die NATO bleibt bestehen, aber wir Europäer müssen uns unabhängig von ihr stärken. Da geht es nicht nur um mehr Waffen, sondern auch um Zivilschutz und zum Beispiel um die Frage: Haben wir genug Luftschutzbunker?

Warum geht das nicht innerhalb der EU-Strukturen?
Weil wir nicht darauf warten können, dass Viktor Orbán grünes Licht vom Kreml für die Pläne bekommt.

Bedeutet das auch, dass möglicherweise deutsche Soldaten Teil einer europäischen Friedenstruppe in der Ukraine werden?
Ja. Wir können doch nicht ständig darauf vertrauen, dass andere die Arbeit für uns erledigen. Natürlich bräuchte es einen »Backstop«. Es darf nicht passieren, dass wir nackig dastehen, weil uns die Amerikaner am Ende Putin zum Fraß vorwerfen. Die Amerikaner müssten garantieren, dass sie, falls es zu einer Konfrontation mit Russland kommt, an unserer Seite eingreifen würden.

Bräuchte es nicht vielmehr eine europäische Armee, mit eigener Kommandostruktur?
Als langfristige Vision ja, aber kurzfristig kriegen wir das nicht hin. Das ist ein Jahrhundertprojekt. Jetzt brauchen wir erst einmal eine bessere Arbeitsteilung, mehr Ressourcen für Verteidigung, schnellere Entscheidungsstrukturen und eine klare Haltung. Putin muss wissen: bis hierhin und nicht weiter. Wir stehen zur Ukraine, wir schützen die NATO und die EU.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat nun Mehrausgaben von 800 Milliarden Euro für Verteidigung vorgeschlagen. Ist das nicht megalomanisch?
Nein, es ist realistisch. Die Frage ist nur, wie man es technisch hinbekommt.

Sind Sie optimistisch, dass Europa es hinbekommt?
Optimistisch bin ich nicht. Aber uns bleibt nichts anderes übrig.

Mit dem Europaabgeordneten von Bündnis90/Die Grünen sprach Michael Thaidigsmann.

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