Dialog

Symbol Leipzig

Podiumsdiskussion, Vortrag, Ausstellung: Etliche Programmpunkte des Katholikentages widmen sich jüdischen Themen. Foto: dpa

Leipzig, Stadt der beeindruckenden Demonstrationen gegen die Unterdrückung in der DDR und für ein aus den Kirchen auf die Straße getragenes Aufbegehren. Leipzig, Stadt der Messen, des Kommerzes und des Buches, wurde ausgewählt, den 100. Deutschen Katholikentag zu beherbergen. Leipzig steht auch für den Erfolg einer atheistischen Propaganda. Doch die, die im SED-Staat in der Kirche verblieben, rückten zusammen, näher heran auch an die wenigen jüdischen Nachbarn.

Leipzig wurde ein Zentrum des christlich-jüdischen Dialogs zu DDR-Zeiten. Hier entwickelte sich eine ganz besondere Intensität in den Beziehungen von Christen und Juden, eine Solidarität der Minderheiten. Es war eindrucksvoll, sie zu erleben. Etwa an Hohen Feiertagen in der Synagoge in der Keilstraße. Wenige Juden. Alte, kranke Männer wuchteten die Torarollen die steilen Stufen zur Bima hinauf. Minjan war keiner vorhanden – und doch war die Synagoge voll bis auf den letzten Platz.

respekt Es waren Christen. Bescheiden, zurückhaltend, voller Respekt füllten sie die Reihen. »Die wenigen überlebenden Juden«, so hieß es, »sollen sich in ihrer großen Synagoge an solch einem Tag nicht so einsam fühlen.« So entfaltete sich ein wunderschöner G’ttesdienst mit Orgel, einem weiblichen, nichtjüdischen Chor, dem die synagogale Liturgie ebenso vertraut war wie die alten Lewandowski-Melodien.

Heute ist die DDR Vergangenheit, und in der Leipziger Synagoge spricht man Russisch. Männer und Frauen trennt ein Vorhang. Jüdisches Leben, unter Mühen aufrechterhalten – und im ständigen Wandel begriffen. Nichts könnte auch für einen Katholikentag, seine Geschichte und Gegenwart, charakteristischer sein.

Als sich erstmals einige Vertreter katholischer Verbände im »Revolutionsjahr« 1848 in Mainz versammelten, hatte niemand ahnen können, dass einmal Juden zu solch einem Treffen eingeladen würden, dass Frauen der Zutritt erlaubt würde. Katholikentage, wie auch Evangelische Kirchentage, spiegeln stets auch den Zeitgeist – und der war in der katholischen Kirche fast genuin antijüdisch, religiös wie politisch. Ein trauriges Beispiel für diese verharmlosend »Antijudaismus« genannte Grundhaltung bot einer der mächtigsten deutschen Kirchenfürsten, der Münchner Kardinal Faulhaber.

verfolgung Im Winter des Jahres 1933, nach dem Einsetzen der offenen Verfolgung der jüdischen Menschen in Deutschland, hielt Faulhaber vier legendäre Predigten gegen die nationalsozialistische Weltanschauung. Er erhob seine Stimme auch gegen den Geist der Deutschen Christen, die das »Alte Testament« aus der Kirche verbannen wollten. Doch er sagte eben auch, dass er nur über die Juden »vor Christus« spreche. Von dieser Solidarität nahm er ausdrücklich die Juden »hier und heute« aus. »Zwischen ihnen und uns ist damals der Vorhang im Tempel zerrissen.«

Lange sollte es dauern, bis der oft beschworene »Schock von Auschwitz« solch eine Theologie infrage stellte. Es war Papst Johannes XXIII., der als päpstlicher Diplomat unter anderem in Bulgarien und der Türkei wohl Tausenden Juden die Flucht aus Nazi-Europa ermöglichte, der ein Umdenken in seiner Kirche einleitete und konsequenterweise das Zweite Vatikanische Konzil einberief, das auf allen Gebieten, auch und gerade in Bezug auf das Verhältnis zu den Juden, Reformen vorantreiben sollte.

Und gerade diese Reformen, nicht zuletzt die vorsichtige Aufgabe einer judenmissionarischen Ausrichtung, führte 1970 zur Abspaltung der Anhänger der alten Theologie unter Bischof Lefebvre. Fortan empfanden sich die schismatischen Piusbrüder als Spitze eines traditionalistischen Eisbergs in der Kirche. Seither wird über ihren Einfluss in Rom gerätselt. Von Seilschaften, die insbesondere gegen Papst Franziskus arbeiten, ist die Rede.

piusbrüder Jüngst wurde bekannt, dass der Vatikan die von Benedikt XVI. eingeleiteten Gespräche auch unter dem Pontifikat von Franziskus weiterführt. Ziel: die Rückkehr der Piusbrüder in die Arme von Mutter Kirche. Von einer Rückkehr, wurde gemunkelt, ganz ohne Vorbedingungen. Das Dementi folgte erfreulich schnell: Voraussetzung für eine Wiedereingliederung der Piuspriester sei die Anerkennung des Reformkonzils.

Der Vorgang zeigt zweierlei: Es fehlt nach wie vor nicht an Kräften, die einem katholischen Absolutheitsanspruch nachtrauern. Doch die christlich-jüdischen Beziehungen stehen mittlerweile auf einer recht soliden Basis. Bei aller Unterschiedlichkeit treffen sich auf dem Katholikentag in Leipzig Juden und Christen auf Augenhöhe.

Der Autor ist Journalist und Publizist in Köln.

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025

Berlin

Streit um geforderte Yad-Vashem-Straße

Zwischen dem Freundeskreis Yad Vashem und dem Roten Rathaus herrscht Unmut

von Imanuel Marcus  29.04.2025

Den Haag

Strafgerichtshof verpflichtet Chefankläger zur Vertraulichkeit

Karim Khan, der unter anderem gegen Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erwirkt hat, darf einem Bericht des »Guardian« zufolge künftig nicht mehr öffentlich dazu Stellung nehmen

 29.04.2025

Urteil

»Impfen macht frei«-Bild ist Volksverhetzung

Ein 65-Jähriger hatte während der Corona-Pandemie die Schutzmaßnahmen der Regierung mit dem Holocaust verglichen

 29.04.2025