Jüdinnen und Juden in Deutschland leiden unter den Folgen des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 - und fühlen sich dabei oft alleingelassen oder sehen sich sogar mit Ablehnung konfrontiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstützte Studie, deren Zwischenbericht in Berlin vorgestellt wurde.
Schuster: dramatisch aber nicht überraschend
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, nannte die Ergebnisse dramatisch aber leider nicht überraschend. »Das Leben von Jüdinnen und Juden ist seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel vor zwei Jahren auch hier in Deutschland stark von der Bedrohung durch Antisemitismus geprägt, und zwar in ganz alltäglichen Dingen, in Bildungseinrichtungen am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderen öffentlichen Orten.«
Der Zentralrat der Juden weise nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 auf diese Entwicklung in der Gesellschaft hin, so Schuster. Nun müsse man aber »den neuen Umständen unsere Warnungen drastisch verschärfen«. Das Gefühl, sich als Jude in unserer Gesellschaft unsichtbar machen zu müssen, »erinnert uns an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte«. Nun sei die Zivilgesellschaft gefragt: »Jeder einzelne Bürger ist gefordert, Empathie und Zivilcourage zu zeigen, nicht zu schweigen, sondern aufzustehen, wenn die gesellschaftliche Teilhabe von Bürgern gefährdet ist.«
Aussagen der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer bestätigen die drastische Lage. »Sie beschreiben, wie sie auf Empathieverweigerung, Solitaritätsentzug und Kälte in ihrem sozialen Umfeld treffen«, berichtete eine der Autorinnen, Friederike Lorenz-Sinai. Einzelne Nachfragen oder zugewandte Reaktionen würden als wichtige Ereignisse hervorgehoben.
Belastungen in Privat- und Berufsleben
Die Belastungen zeigten sich in vielen Bereichen, von der Verherrlichung des Massakers in sozialen Medien, im privaten oder beruflichen Umfeld oder im Nahverkehr bis hin zum Arztbesuch, wo der Arzt oder die Ärztin über den Gaza-Krieg sprechen wollten, so Lorenz-Sinai.
Co-Autorin Marina Chernivsky sagte, viele Befragte steckten in dem unlösbaren Dilemma, als Jüdinnen und Juden »zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit« entscheiden zu müssen. Das Tragen des Davidsterns könne ein Risiko darstellen.
Die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman sagte, wer offen zugebe, jüdisch zu sein oder aus Israel zu kommen, riskiere, bei der Arbeitssuche aussortiert zu werden, »eine Wohnung nicht zu bekommen, in der Schule gemobbt oder im Restaurant nicht bedient zu werden«. Manch litten unter Ängsten und Stresssymptomen wie Herzrasen, Schlafstörungen und Erschöpfung.
Ataman hat Forderungen an die Bundesregierung
Ataman verlangte von der Bundesregierung eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Demnach könne zwar eine Diskriminierung wegen der Religion, aber nicht wegen der Staatsangehörigkeit geahndet werden. Auch der Schutz vor Diskriminierung in Schulen und Hochschulen müsse gestärkt werden. Zudem seien Fördermittel ihres Hauses, mit denen Hilfsangebote für Betroffene antisemitischer Diskriminierung finanziert werden, im Bundeshaushalt für das kommende Jahr nicht mehr eingeplant - das sei ein großer Fehler, warnte sie.
An der Studie des Kompetenzzentrums antisemitismuskritische Bildung und Forschung und der Fachhochschule Potsdam nahmen 111 Jüdinnen und Juden zwischen 16 und 80 Jahren aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands teil. Sie führten seit Anfang 2024 Einzel- oder Gruppengespräche mit Forschenden. Weitere Runden sind geplant.
Finale Studienergebnisse kommen noch
Die Gespräche wurden mit der Frage eingeleitet: »Können Sie sich / Kannst Du Dich bitte kurz vorstellen und dann erzählen: Was bedeutet für Sie / Dich der 7. Oktober, was verbinden Sie /verbindest Du mit diesem Ereignis?« Die endgültigen Ergebnisse der Studie sollen im kommenden Frühjahr erscheinen.
Am 7. Oktober 2023 verübten Terroristen der Hamas und anderer Organisationen Massaker in Israel, bei denen rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. dpa/ja