UN

Stimmen für den Staat

Auf den ersten Blick ist es im Diplomatenviertel rund um das UN-Gelände am New Yorker East River dieser Tage nicht wesentlich betriebsamer als gewöhnlich.

Der Verkehr rollt ruhig die First Avenue hinunter, die Seitenstraßen des vom hektischen Treiben in Midtown Manhattan weit entlegenen Distrikts sind wie immer ausgestorben. Nur zur Mittagszeit sieht man ein paar Mitarbeiter der UN-Vertretungen zu den Sandwich-Shops auf der Second Avenue ausschwärmen. Von der anstehenden Vollversammlung in der kommenden Woche ist noch kaum etwas zu spüren.

Doch die Ruhe trügt. Hinter den Glasfassaden der Bürogebäude herrscht seit Tagen nervöse Aktivität. Die UN hat in diesem Jahr eine der heikelsten Entscheidungen seit langer Zeit zu treffen, und die Fronten und Allianzen sind noch lange nicht endgültig geschmiedet.

Zur Abstimmung steht die Anerkennung Palästinas als Mitgliedsstaat. Die PLO hat schon seit langem damit gedroht, durch die Bewerbung um eine UN-Mitgliedschaft Israel unter Druck setzen zu wollen. Jetzt macht die palästinensische Autonomiebehörde ihre Absicht wahr.

Am vergangenen Donnerstag versammelten sich rund 100 palästinensische Offizielle vor der UN-Behörde in Ramallah, um förmlich einen offenen Brief an den Generalsekretär Ban Ki Moon zu übergeben, mit der Bitte um dessen »moralische Unterstützung für das palästinensische Volk«. Es war der inoffizielle Auftakt zur palästinensischen UN-Kampagne.

Vatikan-Lösung In dieser Woche berät sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mit den Außenministern der arabischen Staaten in Kairo über die genaue Strategie für New York. Zur Diskussion stehen zwei Optionen: Entweder die Autonomiebehörde bewirbt sich beim Sicherheitsrat um die volle Anerkennung als Mitgliedsstaat. Oder sie strebt die sogenannte Vatikan-Lösung an, gemäß derer sie ähnlichem dem Vatikan ein »Beobachterstaat« bei der UN wird.

Sollten die Palästinenser beim Sicherheitsrat volle Mitgliedschaft beantragen, gilt es als sicher, dass die USA ihr Veto gegen den Antrag einlegen werden. Die Obama-Regierung befürchtet, dass eine staatliche Anerkennung Palästinas zum jetzigen Zeitpunkt den Erfolg bilateraler Verhandlungen verhindern würde. Schon im Mai hatte Obama die Aktion als »rein symbolischen Versuch« abgetan, »der den Friedensprozess zurückwerfen würde«.

Die Palästinenser hingegen glauben nicht an den Erfolg direkter Verhandlungen. »Das ist vielleicht nicht unsere letzte Chance auf Anerkennung als Staat«, sagt Zabi Khoury, ein einflussreicher Geschäftsmann aus dem Westjordanland. »Aber vielleicht unsere beste.« Die andere Variante, die »Vatikan-Lösung«, die der Autonomiebehörde auch noch im Falle eines Scheiterns offensteht, wäre der palästinensischen Verhandlungsposition allerdings ebenfalls zuträglich.

Selbst eine Anerkennung als »Beobachterstaat« würde es der Regierung in Ramallah ermöglichen, vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Israel zu klagen, etwa wegen behaupteter Kriegsverbrechen. Alleine diese Möglichkeit könnte das Gleichgewicht der Verhandlungen verändern, glaubt man auf der palästinensischen Seite: Man wollte dann vor dem Internationalen Strafgerichtshof auf einen Truppenabzug aus dem Westjordanland und Gaza zu drängen und UN-Friedenstruppen anfordern.

Unterstützung Die politischen Sterne für einen Erfolg der Palästinenser zumindest vor der Vollversammlung stehen allem Anschein nach gut. »Es sieht so aus, als wäre die Geschichte auf unserer Seite«, sagt in New York der palästinensische Delegationsleiter Riyad Mansour.

In diesem Monat hat Libanon, das einzige arabische Land im Sicherheitsrat, den Vorsitz des Gremiums. Und in der kommenden Woche wird Katar die Leitung der Vollversammlung übernehmen. Darüber hinaus haben bereits 122 Staaten ihre Unterstützung für den Antrag Palästinas zugesagt – trotz verzweifelter diplomatischer Versuche der USA, die Delegierten davon abzuhalten.

Die Mehrzahl der arabischen, afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten hat sich bereits für einen Staat Palästina ausgesprochen. In der vergangenen Woche sagte auch China seine Unterstützung zu. Israel und die USA, schrieb deshalb die Washington Post, seien bei der UN isoliert.

Unklar ist momentan noch die Position der EU. Europa tut sich schwer mit einer gemeinsamen Position. Frankreich, Spanien und Großbritannien haben Sympathie für den palästinensischen Antrag signalisiert.

Die Niederlande, Polen, die Tschechische Republik und auch Deutschland votieren wohl dagegen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) reiste in dieser Woche nach Kairo, um Abbas zur Vorsicht bei seinen nächsten Schritten zu ermahnen.

Aus Kreisen der deutschen Delegation in New York war zu hören, dass man sich vor einer schwierigen Gratwanderung sieht. Man will eine Eskalation vor Ort verhindern und die Aussichten direkter Verhandlungen nicht schmälern, die Beziehungen zu Israel keinesfalls gefährden und europäische Einheit in der Frage zeigen.

Ausrufung eines Staats
Der UN-Sicherheitsrat setzt sich aus fünf ständigen (Frankreich, Russland, USA, China und Großbritannien) und zehn nichtständigen Mitgliedern zusammen. Die permanenten Mitglieder besitzen ein erweitertes Vetorecht bei Abstimmungen. Die Aufnahme eines Staates wird durch die UN-Charta geregelt: erst kommt die Empfehlung des Sicherheitsrates, dann folgt der Beschluss der Generalversammlung. Anerkannte Staaten, die aber nicht Mitglied der UN sind, dürfen, wenn sie von der Entscheidung betroffen sind, an Diskussionen des Sicherheitsrats teilnehmen, haben aber kein Stimmrecht.

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025