Bundesregierung

Starker Anstieg antisemitischer Straftaten

BKA-Chef Holger Münch (l.) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Foto: dpa

Die Polizei hat 2018 deutlich mehr antisemitische und rassistische Straftaten registriert als im Jahr zuvor. Laut der am Dienstag in Berlin vorgelegten Statistik der politisch motivierten Kriminalität gab es im letzten Jahr 1799 judenfeindliche Straftaten – ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr (1504). Die Zahl rassistischer Straftaten ist um fast 400 auf 1664 gestiegen.

Überwiegend sind diese Taten dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen, wie das allgemein für den Großteil der politisch motivierten Statistik gilt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, diese Entwicklung müsse man »verdammt ernst« nehmen. Auf dieser Seite habe man ein Problem »ganz, ganz massiv«.

Besonders beunruhigt Bundesinnenminister Horst Seehofer der Anstieg antisemitischer Taten.

MILIEUS Die Statistik politisch motivierter Kriminalität weist für 2018 einen Rückgang von knapp neun Prozent beim Gesamtaufkommen der Straftaten aus. Gut 36.000 Straftaten gab es demnach (2017: rund 39.500). Mehr als die Hälfte der Straftaten (rund 20.400) sind dabei dem rechten Spektrum zuzuordnen. Linke Straftaten wurden knapp 8000 gezählt. Der Rest entfällt auf den Bereich ausländischer oder religiöser Ideologie oder ist nicht eindeutig zuzuordnen.

Während linksextrem motivierte Straftaten – nach einem Anstieg im G-20-Gipfel-Jahr 2017 – dabei der Statistik zufolge deutlich zurückgingen, blieb die Zahl rechtsextrem motivierter Taten auf gleichem Niveau. Gewalttaten Rechtsextremer sind sogar um gut zwei Prozent gestiegen auf 1156 Fälle (2017: 1130). Für Seehofer ist die Statistik daher kein Grund zur Entwarnung. Trotz Rückgangs bleibe die Zahl der Taten auf hohem Niveau, sagte er.

Besonders beunruhigt den Minister nach eigenen Worten der Anstieg antisemitischer Taten. Gerade in Deutschland müsse man sich dem mit allen Mitteln entgegenstellen, sagte Seehofer. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sagte, diese Entwicklung nehme er sehr ernst.

Der Zentralrat der Juden fordert dazu auf, dass die Erfassung judenfeindlicher Straftaten verbessert werden sollte.

GEWALTTATEN Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte zur heute vorgestellten Kriminalstatistik: »Im vergangenen Jahr kam es der neuen Kriminalitätsstatistik zufolge in Deutschland mehr als einmal wöchentlich zu Gewalttaten gegen Juden und zu rund 1800 antisemitischen Straftaten insgesamt. Vor diesem weiteren Anstieg des Antisemitismus darf niemand die Augen verschließen. Die Bürger dieses Landes, vor allem aber die politisch Verantwortlichen, dürfen es nicht hinnehmen, dass Juden 74 Jahre nach der Schoa wieder einer Bedrohung ausgesetzt sind.«

»Fast 90 Prozent der antisemitischen Straftaten werden als politisch rechts eingeordnet. Diese Angaben decken sich jedoch nicht mit den Erfahrungen der Betroffenen. Die Erfassung judenfeindlicher Straftaten sollte daher verbessert werden, damit wir ein möglichst realistisches Bild des Antisemitismus in Deutschland erhalten«, so Zentralratspräsident Josef Schuster weiter. »Hinzu kommt eine Fülle von Vorfällen, die zwar nicht strafbar sind, aber Juden diskriminieren und gesellschaftlich ausgrenzen. Wir fordern deutlich mehr Sensibilität und Solidarität, um dieser gesellschaftlichen Fehlentwicklung entgegenzuwirken. Vor allem bei den Strafverfolgungsbehörden, der Justiz und in den Schulen gibt es Nachholbedarf beim Kampf gegen Antisemitismus.«

KRITIK Fast 90 Prozent der antisemitischen Straftaten sind der Statistik zufolge rechtsextrem motiviert, für Seehofer eine »wichtige Feststellung«. Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Genauigkeit der Statistik bei der Erfassung der Täter betonten Münch und Seehofer, beim Feststellen von Tätern habe sich in der Vergangenheit die Statistik bestätigt. Kritiker der derzeitigen Registrierweise befürchten, dass antisemitische Straftaten zu häufig als rechtsextrem eingestuft werden, wenn kein Verdächtiger bekannt ist, tatsächlich aber von anderer Seite, beispielsweise von Muslimen begangen werden.

BKA-Chef Münch: Anstieg bei fremdenfeindlichen und antisemitischen Straftaten ist besorgniserregend.

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, äußerte sich besorgt über den Anstieg judenfeindlicher Taten in Deutschland. »Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Enthemmung und Verrohung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland hatte ich mit einem Anstieg der antisemitisch motivierten Straftaten 2018 gerechnet«, sagte er mit Blick auf die aktuelle Kriminalitätsstatistik am Dienstag in Berlin. Dass der Anstieg derart hoch ausfiel, halte er jedoch für »äußerst alarmierend«, ergänzte Klein.

Zugenommen haben der Statistik zufolge 2018 Taten im Bereich der sogenannten Hasskriminalität. So werden Taten gewertet, die gegen eine bestimmte Gruppe etwa wegen der Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung begangen werden. 2018 gab es in dem Bereich mehr als 8000 Taten, ein Anstieg um rund 200 Fälle. Maßgeblich verbergen sich den Angaben zufolge dahinter fremdenfeindliche Straftaten (rund 7700).

Neben dem Anstieg bei antisemitischen Taten weist die Statistik einen Rückgang islamfeindlicher Straftaten auf 910 (2017: 1075) und christenfeindlicher Taten auf 121 (2017: 129) aus. Beide werden seit 2017 gesondert erfasst. Die Straftaten gegen Asylbewerber und ihre Unterkünfte haben den Angaben zufolge 2018 auf 173 abgenommen (2017: 312). Davon waren 14 Gewaltdelikte (2017: 46).  epd/ja

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025