Iran

Snapback: Jetzt oder nie?

Die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschland und die EU-Außenbeauftragte nach Gesprächen mit dem iranischen Außenminister in Genf im Juni Foto: picture alliance/dpa

Die Uhr tickt. Nur noch wenige Wochen bleiben den Signatarstaaten des sogenannten JCPOA-Abkommens, um weitreichende UN-Sanktionen und ein internationales Waffenembargo gegen den Iran wieder in Kraft zu setzen. Der »Joint Comprehensive Plan of Action« war 2015 von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates – China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA – sowie Deutschland mit der Islamischen Republik geschlossen worden.

Teheran verpflichtete sich darin, die Anreicherung von Uran über den für eine friedliche Nutzung der Kernenergie notwendigen Anreicherungsgrad von 3,7 Prozent hinaus für die Dauer von mindestens 15 Jahren zu beenden, die Zahl seiner Gaszentrifugen um rund zwei Drittel zu verringern, keine neuen Anlagen zur Anreicherung zu errichten, bereits angereichertes Uran unter die Kontrolle von Nachbarstaaten zu stellen und den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien umfassenden Zugang zu gewähren - allesamt Forderungen, die der UN-Sicherheitsrat bereits im Jahr 2006 aufgestellt hatte. Im Gegenzug wurden weitreichende Sanktionen gegen das Land außer Vollzug gesetzt; der Iran bekam im Ausland geparkte Vermögenswerte in Milliardenhöhe zurück.

Um den Druck auf das Regime aufrechtzuerhalten und den Vetomechanismus im Sicherheitsrat zu umgehen (jedes der fünf ständigen Mitglieder kann Beschlüsse des wichtigsten UN-Gremiums verhindern), enthält das JCPOA einen ausgeklügelten Mechanismus. Demzufolge werden die internationalen Sanktionen gegen die Islamische Republik auch dann wieder in Kraft gesetzt, wenn nur eine JCPOA-Vertragspartei dies verlangt und der Sicherheitsrat binnen 30 Tagen keinen gegenteiligen Beschluss fasst.

Snapback-Mechanismus noch bis 18. Oktober gültig

Da sich die USA in der ersten Amtszeit von Präsident Donald Trump aus dem Abkommen zurückgezogen und eigenständig bereits Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft gesetzt haben, können nur fünf Staaten, darunter auch Deutschland, von diesem Recht Gebrauch machen. Allerdings hat der sogenannte Snapback-Mechanismus nur eine Gültigkeit von zehn Jahren. Er läuft am 18. Oktober aus, auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem der Sicherheitsrat das Abkommen gebilligt hat.

Wird der Snapback-Mechanismus von einer JCPOA-Vertragspartei ausgelöst, beginnt eine Frist von 30 Tagen. In diesem Zeitraum muss der Sicherheitsrat prüfen, ob der bis 2015 gültige Sanktionsapparat wieder aktiviert wird. Theoretisch kann eine Mehrheit der 15 Mitgliedsstaaten des Gremiums dies verhindern. Doch nur, falls keines der fünf ständigen Mitglieder sein Veto einlegt. Beschließt der Sicherheitsrat nicht ausdrücklich, den bisherigen Zustand beizubehalten, treten die Sanktionen erneut vollumfänglich in Kraft.

Das JCPOA-Abkommen wurde im Juli 2015 in Wien vereinbart. Für Deutschland verhandelte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit.Foto: picture alliance / abaca

Da Frankreich und Großbritannien sowohl Vetomächte im Sicherheitsrat und als Signatarstaaten des JCPOA sind, spielen sie eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Iran, wenngleich nur noch ein paar Wochen. Paris und London stimmen sich eng mit Berlin und mit Brüssel ab; die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas fungiert laut JCPOA als Koordinatorin des Abkommens. Sie kann die Treffen der Vertragsparteien einberufen.

Jedoch sind alle Versuche von Kallas und von ihrem Vorgänger, dem Spanier Josep Borrell, eine diplomatische Lösung zu erreichen, bislang krachend gescheitert. Auch eine Rückkehr der USA zum JCPOA ist den Europäern nicht gelungen. Washington war in der ersten Amtszeit von Präsident Donald Trump aus dem Vertragswerk ausgestiegen. Dort und auch in Israel ist die Skepsis groß, dass das JCPOA den Iran tatsächlich von seinem Kurs abbringen kann, eine Atombombe zu bauen. Trump und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu fordern stattdessen harte Sanktionen und setzen auch auf militärische Mittel, um die iranische Gefahr einzudämmen.

»Wir beginnen wieder von vorn«

Allerdings hat Teheran seit dem Ausstieg der USA seine Urananreicherungsaktivitäten wieder aufgenommen und noch verstärkt. Laut dem jüngsten Bericht der IAEO verfügt das Regime nunmehr über gut 400 Kilogramm hochangereichertes Uran, für das es nur eine mögliche Verwendung gibt: Atomsprengköpfe. Bis zu den Luftschlägen Israels und der USA im Juni waren sich Experten weitgehend einig, dass es der Islamischen Republik möglich sein würde, in relativ kurzer Zeit den sogenannten »Breakout« zu schaffen, das Zeitfenster also, um einen nuklearen Sprengkopf zu bauen.

Inwieweit die Bombardierungen von Anreicherungsanlagen dies verhindert oder verzögert haben, ist nach wie unklar. Allerdings dürfte die aktuelle Breakout-Zeit näher an der von vor zehn Jahren liegen und nur wenige Monate betragen. Ein Anliegen des JCPOA war es, das Breakout-Fenster auf mindestens ein Jahr zu verlängern.

Das Misstrauen gegenüber dem Iran ist nach wie vor groß – auch, weil das Regime lange Zeit den Inspektoren der IAEO Zutritt zu seinen Anlagen verwehrt hatte. IAEO-Chef Rafael Grossi erklärte am Dienstag in Washington, das erste Team von Prüfern seiner Behörde sei nun wieder im Iran. Doch die letzten Jahre gab es Rückschläge. »Wir sind dabei, wieder von vorne zu beginnen«, sagte Grossi. »Was den Iran betrifft, so gibt es, wie Sie wissen, viele (nukleare) Einrichtungen. Einige wurden angegriffen, andere nicht. Wir diskutieren daher, welche Modalitäten, praktische Modalitäten, umgesetzt werden können, um die Wiederaufnahme unserer Arbeit dort zu erleichtern.«

Ob das die europäischen Staaten vom Auslösen des Snapback abhält, ist allerdings zweifelhaft, denn das Vertrauen in das Mullah-Regime ist nicht erst seit dem Krieg im Frühjahr auf dem Gefrierpunkt angelangt. Das hat nicht nur mit dem Atomprogramm zu tun, sondern auch mit den anderen Aktivitäten der Islamischen Republik.

Militärparade in Teheran im April: Über die friedlichen Absichten des Iran und seines Atomprogramms bestehen große Zweifel Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Zudem besteht die Sorge, dass Russland sich an die Seite Teherans stellen und im Sicherheitsrat den Snapback-Mechanismus durch Verfahrenstricks hintertreiben oder verzögern könnte. Der Iran beliefert Moskau seit Jahren mit Kampfdrohnen, die in der Ukraine zum Einsatz kommen. Russland wird im Oktober turnusgemäß den Vorsitz im Sicherheitsrat übernehmen. Berechnet man die Frist von 30 Tagen mit ein, bleibt Deutschland, Frankreich und Großbritannien damit nur ein sehr kleines Zeitfenster, um die Wiedereinsetzung der Sanktionen zu beantragen.

Konkret geht es dabei um ein weitreichendes Verbot, den Iran mit Waffen zu beliefern, um die erneute Einfrierung iranischer Vermögenswerte im Ausland, um Einreiseverbote für Personen, die am Atomprogramm beteiligt sind, um die Aktivitäten der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) und die Aktivitäten iranischer Banken und anderer Unternehmen im Ausland.

Volker Beck: »Snapback jetzt«

Der Druck auf Berlin, diese Strafmaßnahmen wieder einzusetzen, wächst daher. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft forderte die Bundesregierung diese Woche auf, umgehend den Snapback zu aktivieren. »Iran verletzt seit Jahren seine Verpflichtungen aus dem JCPOA, setzt die Urananreicherung fort, installiert immer neue Zentrifugen, verweigert der IAEO umfassenden Zugang und beantwortet offene Fragen zu den nicht deklarierten Standorten und zum Verbleib von angereichertem Uran nicht«, erklärte DIG-Präsident Volker Beck und forderte »Snapback jetzt!«

Das Regime treibe neben dem Atom- auch sein Raketenprogramm voran, unterstütze Terrororganisationen wie Hamas, Hisbollah und die Huthi im Jemen und unterdrücke die eigene Bevölkerung. »Ein Regime, das Israel offen mit Vernichtung bedroht, Anschläge in Europa vorbereitet und im Inneren mit Folter und Hinrichtungen regiert, darf nicht auch noch über die Fähigkeit zur Atombombe verfügen«, erklärte Beck.

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Darin ist er sich im Grundsatz mit der Bundesregierung einig. Auch die hat immer wieder betont, dass ein atomar bewaffneter Iran mit allen Mitteln verhindert werden muss. Außenminister Johann Wadephul (CDU) will Teheran dennoch ein Fenster offenhalten, um eine diplomatische Lösung zu finden. »Iran hat die Wahl, sich für eine Rückkehr zu Diplomatie und zu vollständiger Kooperation mit der IAEO zu entscheiden«, schrieb Wadephul am 13. August auf Twitter. »Zuletzt haben wir Iran eine zeitlich begrenzte Verlängerung der Snapback-Option unter bestimmten Bedingungen angeboten – es ist an Iran, darauf einzugehen.«

Eine Verlängerung des Snapback-Mechanismus über den 18. Oktober hinaus müsste von allen JCPOA-Signatarstaaten beschlossen werden. Ob sie kommt, ist aber zweifelhaft. Denn auch das haben die letzten Jahre gezeigt: Die Diplomatie stößt in Bezug auf den Iran und sein Atomprogramm an Grenzen.

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