Flüchtlinge

Sie wollen bleiben

Deutschland öffnet seine Grenzen. Doch mit Ankunft der Flüchtlinge beginnt die eigentliche Herausforderung. Foto: dpa

Die Angst vor dem Terror sowohl des Assad-Regimes als auch der Mörderbanden des »Islamischen Staats« oder anderer islamistischer Gruppen treibt sie in Flüchtlingsboote, mit denen sie sich auf den Weg machen und – im besten Fall – in Europa ankommen. Deutschland ist für die meisten von ihnen das Ziel, das gelobte Land. Sie wissen kaum etwas über das Land ihrer Wahl, aber das, was sie wissen, reicht ihnen, um sich eine vermeintlich gesicherte Zukunft in Mitteleuropa auszumalen.

Deutschland öffnet de facto seine Grenzen. Doch mit Ankunft der Flüchtlinge beginnt die eigentliche Herausforderung: In der Regel haben die Migranten eine grundlegend andere religiöse, kulturelle, soziale und politische Sozialisation erfahren als die meisten Bundesbürger. Die Herkunftsländer zeichnen sich dadurch aus, dass ihr politisches System weder demokratisch noch liberal ist, von Rechtsstaatlichkeit kann keine Rede sein.

lebensplanung Durch die Fluchterfahrungen sind viele in ihrer Lebensplanung zutiefst verunsichert oder gar traumatisiert, sodass sie sich zunächst in der Aufnahmegesellschaft kaum orientieren können. Beruflich erlernte Kompetenzen oder individuelle Fähigkeiten, über die sie in ihrer Herkunftsgesellschaft verfügt haben, werden in Deutschland ebenso wenig erkannt oder anerkannt wie ihr ehemaliger sozialer Status. Die hier beschriebene biografische Situation findet ihren Ausdruck in dem Begriff »Kulturschock«.

Und hier beginnt ein Déjà-vu: Sind wir nicht in einem Film, den wir alle schon einmal gesehen haben? Vor 60 Jahren begann die Arbeitsmigration nach Deutschland, die das Land gravierend verändern sollte. Sogenannte Gastarbeiter wurden aus anderen Ländern angeworben; sie versprachen durch ihre Arbeit den Wirtschaftsaufschwung dadurch zu stabilisieren, dass sie den Arbeitskräftemangel kompensierten. Beide Parteien – die Arbeitsmigranten wie auch die deutsche Gesellschaft – gingen davon aus, dass die Gastarbeiter nach getaner Arbeit in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Eine dauerhafte Liaison war weder vorgesehen noch erwünscht.

integration Wie wir wissen, ging die Geschichte völlig anders aus als geplant. Ein Großteil der Migranten blieb in Deutschland, ohne dass sich Deutschland als Einwanderungsland verstand. So entwickelten sich hinter dem Rücken der Aufnahmegesellschaft migrantische Lebensformen, die nicht selten auf Unverständnis oder Ablehnung bei der Mehrheit stießen. Erst Jahrzehnte nach dem Beginn der Zuwanderung erkannten die politisch Verantwortlichen, dass Integration gestaltet, rechtlich abgesichert, finanziert und sozialpädagogisch unterstützt werden muss.

Der Preis für die verspätete Einsicht ist hoch: Neben und wegen einer hohen Schulabbrecherquote unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben sich teilweise parallelgesellschaftliche Strukturen entwickelt, in deren Rahmen eine religiös motivierte Radikalisierung von vorwiegend jungen muslimischen Männern zu beobachten ist. Ein Großteil der Migranten hat inzwischen Deutschland als Lebensmittelpunkt gewählt und plant seine Zukunft in diesem Land. Deutsche und Zuwanderer, zum Teil bereits in dritter Generation, haben sich arrangiert – eine Art stabiler Vernunftehe, um die uns manche Nachbarstaaten beneiden. Krisen und Konflikte sind bei dieser Konstellation weder ausgeschlossen noch überraschend.

Und die Syrer? Sie haben im Vergleich mit anderen Migrantengruppen ein deutlich höheres Bildungsniveau und stammen aus vergleichsweise guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Da sie aus Bürgerkriegsgebieten geflohen sind, können die meisten von ihnen damit rechnen, dass ihr Asylantrag wohl anerkannt wird. Im Unterschied zu den Gastarbeitern werden und wollen die syrischen Migranten in Deutschland bleiben.

spielregeln Dieser von ihnen geäußerte Wille verpflichtet sie, sich auf die gesellschaftlichen und politischen Spielregeln des Aufnahmelandes einzulassen. Gleichwohl ist dieses Integrationsprojekt zum Scheitern verurteilt, wenn die notwendige Infrastruktur seitens der Aufnahmegesellschaft nicht zur Verfügung gestellt wird. Hierzu zählen Wohnungen, Arbeit, Sprachunterricht und Bildungsangebote. All dies wird nur im Zusammenhang mit einer konsequent durchgeführten Demokratieerziehung fruchten, deren Ziel es sein muss, die grundgesetzlich verankerten Rechte und Pflichten kennen, würdigen und befolgen zu lernen.

Sollten die hier genannten Integrationsbausteine ausbleiben, werden Befürchtungen, die in der jüdischen Gemeinschaft im Blick auf mögliche antisemitische und antiisraelische Einstellungen gehegt werden, sehr ernst zu nehmen sein. Frustrierte und ausgegrenzte Angehörige von ethnisch-religiösen Minderheiten reagieren häufig in Form einer religiösen Abkapselung und der Suche nach den Verantwortlichen für ihre Situation. Die Empirie lehrt uns, dass in diesen Fällen Juden oder Israelis bevorzugte Ziele darstellen. Eine der Hauptaufgaben der politischen Bildung der Flüchtlinge wird es sein, ihnen zu vermitteln, dass sie in ein Land gekommen sind, das ihnen nur dann eine Zukunft versprechen kann und will, wenn sie sich mit der Schoa und ihren Konsequenzen auseinandersetzen. Dies gehört ebenso zu den Pflichten einer reflektierten politischen Kultur wie der humane Umgang mit Flüchtlingen.

Der Autor ist Professor für Interkulturelle Erziehung in Erfurt und Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden.

Krieg

Iran feuert neue Raketenwelle auf Israel ab: Mehrere Tote

Die Mullahs holen erneut zu einem Angriff auf den jüdischen Staat aus

 15.06.2025 Aktualisiert

Meinung

Nie wieder Opfer!

Israels Angriff auf Irans Atomanlagen war unausweichlich. Denn eine Konsequenz aus der jüdischen Geschichte lautet: Wenn es hart auf hart kommt, besser zuerst schlagen als zuerst und dann für immer geschlagen zu werden

von Michael Wolffsohn  14.06.2025

Thüringen

Verfassungsschutzchef warnt vor islamistischen Anschlägen gegen jüdische und israelische Einrichtungen

Kramer: Wir müssen davon ausgehen, dass die Hemmschwelle weiter sinken wird, auch gewalttätig zu werden

 13.06.2025

Gerhard Conrad

»Regime Change im Iran wäre noch wichtiger als die Zerstörung der Atomanlagen«

Der Ex-BND-Geiselunterhändler und Nahostexperte zum israelischen Militärschlag gegen den Iran und die Konsequenzen für den Nahen Osten

von Michael Thaidigsmann  13.06.2025

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Schlag gegen Iran

Ein notwendiger Schritt

Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zu wehren. Teheran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  13.06.2025

Angriff auf Iran

Dobrindt hält Israels Angriff für richtig

Die Operationen seien Israels Sicherheit dienlich, sagt der deutsche Innenminister. Die Sicherheitsbehörden wappnen sich für mögliche Folgen in Deutschland

 13.06.2025

Bundesregierung

»Das Ziel muss sein, dass Iran keine Nuklearwaffen entwickelt.«

Regierungssprecher Stefan Kornelius äußerte sich in Berlin zum israelischen Angriff auf Ziele im Iran und dem Recht Israels auf Selbstverteidigung

 13.06.2025

Schlag gegen Iran

Israelische Botschaften geschlossen

Der Krieg zwischen Israel um dem Iran hat Folgen in Berlin und anderen Hauptstädten. Die diplomatischen Vertretungen des jüdischen Staates arbeiten aus Sicherheitsgründen nicht

 13.06.2025