Interview

»Sie müssen unsere Grundordnung anerkennen«

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: ZR / Christoph Boeckheler

Herr Schuster, Sie haben Ende April gesagt, dass Deutschland es sich nicht leisten könne, Flüchtlinge und Verfolgte abzulehnen. Nun weist nicht nur Bundespräsident Joachim Gauck auf begrenzte Aufnahmemöglichkeiten hin. Zu Recht?
Das eine widerspricht nicht dem anderen. Ende April, als wir noch nicht vor einem solchen Ansturm von Flüchtlingen standen wie jetzt, ging es mir darum, um Verständnis für Flüchtlinge zu werben. Deutschland gehört zu den wohlhabendsten Ländern in Europa und hat – auch vor dem Hintergrund seiner Geschichte – eine humanitäre Verpflichtung, verfolgte Menschen aufzunehmen. Und das geschieht ja auch in hohem Maße. Zugleich müssen wir im Blick behalten, was dieses Land bewältigen kann. Und da kann ich dem Bundespräsidenten nur recht geben: Die Möglichkeiten sind endlich. Daher ist es gut, dass sich die EU-Staaten wenigstens auf die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen verständigt haben.

Der bayerische Ministerpräsident Seehofer kündigt »Notmaßnahmen« an, von einem Aufnahmestopp ist die Rede. Was denken Sie darüber?
Ich möchte mich nicht in die Details der gesetzlichen Regelungen und Neuregelungen einmischen. Das ist angesichts einer politischen Lage, die sich fast wöchentlich ändert, auch sehr schwierig. Wichtig scheint mir, dass die Bundesregierung jetzt schnell handelt, ohne ihre Besonnenheit zu verlieren. Schnellschüsse helfen in solchen außergewöhnlichen Situationen definitiv nicht.

Sie haben in dieser Woche direkt mit Bundeskanzlerin Merkel über das Thema gesprochen. Wie bewerten Sie die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und das aktuell vom Kabinett beschlossene Asylpaket?
Insgesamt bringen die Beschlüsse einige positive Veränderungen, denke ich. Einiges hätte schon viel früher in Angriff genommen werden können, etwa die Beschleunigung von Asylverfahren in Deutschland. Dass dies so lange verschleppt wurde, fällt uns jetzt auf die Füße.

Es gibt Sorge in Hinblick auf mögliche antisemitische und antiisraelische Einstellungen der Flüchtlinge. Teilen Sie die Bedenken?
Ja, das tue ich. Dies habe ich auch der Bundeskanzlerin übermittelt. Unter den Flüchtlingen sind sehr viele Menschen aus Ländern, in denen Israel zum Feindbild gehört. Sie sind mit dieser Israelfeindlichkeit aufgewachsen und übertragen ihre Ressentiments häufig auf Juden generell. Im Sommer 2014 bei den Demonstrationen anlässlich des Gaza-Konflikts konnten wir beobachten, wohin das führt. Daher gibt es in unseren Gemeinden jetzt die Sorge, dass wir solche antisemitischen Ausschreitungen wie 2014 häufiger erleben könnten. Diese Sorge teile ich und sehe daher die Notwendigkeit, die Flüchtlinge so schnell und so fest wie möglich in unsere Wertegemeinschaft einzubinden. Die Ablehnung jeglicher Form von Antisemitismus sowie die Solidarität mit Israel zähle ich zum Grundkonsens der Bundesrepublik.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel lässt das Grundgesetz auf Arabisch drucken. Ist das die geeignete Maßnahme, Flüchtlinge mit den hier geltenden »Spielregeln«, wie er sagt, vertraut zu machen?
Ich verstehe das als symbolische Geste, die sicherlich nicht schadet. Ich gehe davon aus, dass auch Herrn Gabriel bewusst ist: Für eine gelungene Integration braucht es viel mehr, vor allem viele nachhaltige Maßnahmen. Deutschkenntnisse, Schulbildung, Ausbildung, gesellschaftliche Integration über Vereine, Arbeitsstellen – all dies trägt erheblich dazu bei, dass die Flüchtlinge unsere Grundwerte und Gesetze kennenlernen. Sie sollen nicht ihre Herkunft leugnen oder alle ihre Traditionen über Bord werfen. Aber unsere Grundordnung müssen sie anerkennen. Wenn das Grundgesetz auf Arabisch der erste Schritt dahin ist – warum nicht?

Das Gespräch führte Detlef David Kauschke

Dresden

Hauptverfahren gegen »Sächsische Separatisten«

Acht Mitglieder einer rechtsextremistischen Gruppe sollen sich vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden verantworten. An einem »Tag X« wollten sie laut Anklage gewaltsam an die Macht

 15.12.2025

Oranienburg

Gedenken an NS-Völkermord an Sinti und Roma

Bei der Gedenkveranstaltung wollen Schülerinnen und Schüler Textpassagen aus Erinnerungsberichten verfolgter Sinti und Roma vortragen

 15.12.2025

Sydney

Australiens Premierminister widerspricht Netanjahu

Nach dem Anschlag in Sydney betont Premierminister Albanese: Die Anerkennung Palästinas durch Australien steht nicht im Zusammenhang mit der Tat

 15.12.2025

Berlin

Hitlergruß im Bundestag? Anklage gegen AfD-Abgeordneten

Nach dem Vorwurf verliert Matthias Moosdorf seine Immunität. Auch innerhalb der AfD-Fraktion gab es zuletzt Spannungen um den Politiker

 15.12.2025

Anschlag

Sydney: Neue Details zu den mutmaßlichen Tätern

Hinweise aus Ermittlerkreisen deuten darauf hin, dass die Familie ursprünglich aus Pakistan stammt

 15.12.2025

Charlotte Knobloch

Pessimismus können wir uns nicht leisten

Nach dem Terror in Sydney fragen sich auch Juden hierzulande erneut: Wohin? Deutschland hat bewiesen, dass es jüdischen Menschen eine Heimat sein kann und will, meint die Münchner Gemeindechefin

von Charlotte Knobloch  15.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Sydney

Australien berät nach Anschlag über schärfere Waffengesetze

Nach dem Terroranschlag auf ein jüdisches Fest am beliebten Bondi Beach herrscht Schock und Trauer. Premier Albanese kündigt erste Konsequenzen an - und sieht sich Kritik ausgesetzt

 15.12.2025

Australien

Wer waren die Opfer von Sydney?

Zu den Opfern des Terrors in Bondi Beach gehören ein Rabbiner und ein 10-jähriges Mädchen

 15.12.2025