Wittenberg

Schwein des Anstoßes

Seit über 700 Jahren prangt die antisemitische Schmähplastik »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche. Foto: dpa

Hubertus Benecke nennt sie eine »traurige Berühmtheit«: Jede Stadtführung in Wittenberg halte sich mit am längsten vor der »Judensau« auf, die hoch oben an der Fassade der Stadtkirche prangt, echauffiert sich der Anwalt.

Geht es nach seinem jüdischen Mandanten Michael Düllmann ist das antisemitische Schmährelief indes vor allem eines: eine Beleidigung. Ob das so ist, ergründet ab Donnerstag das Landgericht Dessau-Roßlau. Sollte es Düllmanns Antrag stattgeben, muss die Gemeinde das Relief womöglich entfernen.

Die Sandsteinplastik ist zweifellos antisemitisch. Juristisch ist die Sache verzwickt.

RABBINER Dass die Sandsteinplastik antisemitisch ist, daran besteht kein Zweifel. Denn in diesem Geiste wurde sie um das Jahr 1300 von unbekannter Hand geschaffen. Die Skulptur zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After.

Im Mittelalter waren solche Darstellungen weit verbreitet. Sie sollten unter anderem Juden abschrecken, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Bis heute finden sich ähnliche antijüdische Spottplastiken aus jener Zeit an und in mehreren Dutzend Kirchen in Deutschland, darunter dem Erfurter, dem Kölner und dem Regensburger Dom.

Über der Darstellung in Wittenberg prangt zusätzlich der Schriftzug »Rabini Schem HaMphoras«. Der Ausspruch gelangte erst im 16. Jahrhundert an die Kirchenfassade, wohl inspiriert durch eine antijüdische Schmähschrift des in Wittenberg wirkenden Reformators Martin Luther (1486–1546), der insbesondere in seinem Spätwerk gegen Juden hetzte. Das Zitat brachte dem Relief denn auch den Beinamen »Luthersau« ein – und nicht zuletzt deshalb gewann der Streit um die Plastik gerade im 500. Jubiläumsjahr der Reformation vor zwei Jahren wieder an Fahrt.

»Wir wollen, dass die Plastik von der Kirchenwand abgenommen und im Museum ordentlich aufbereitet wird«, sagt der Kläger.

VERMITTLUNG Dabei sind die Fronten lange klar, die Argumente ausgetauscht. Die Stadtkirchengemeinde sieht der historisch-kritischen Einordnung mit einer 1988 unterhalb der Skulptur eingelassenen Bodenplatte Genüge getan. »Geschichte soll nicht versteckt werden und Geschichtsvermittlung gelingt am eindrücklichsten am authentischen Ort«, heißt es in einer Stellungnahme. Auch der Wittenberger Stadtrat sprach sich für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal, stieß Mitte 2017 zudem an, daneben eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch aufzustellen.

Kritiker argumentieren indes, der verhöhnende Charakter der Plastik bleibe trotz dieser Einordnungen erhalten. So sehen es auch Düllmann und sein Anwalt Benecke. Eine erste Verhandlung vor dem Amtsgericht Wittenberg im Mai 2018 war jedoch nach wenigen Minuten beendet. Grund war der zu hohe Streitwert von gut 10.000 Euro, sollte die Plastik entfernt werden müssen. So gelangte der Fall ans Landgericht Dessau-Roßlau.

Dort ist das Ziel des Klägers eindeutig: »Wir wollen, dass die Plastik von der Kirchenwand abgenommen und im Museum ordentlich aufbereitet wird«, sagt Benecke. Er selbst sei zwar Christ, halte das persönlich aber ebenfalls für »die sauberste Lösung«. Mit Blick auf die Haltung der Gemeinde habe er indes das Gefühl, »da kommt irgendwie der Punkt nicht an«.

Das Landgericht wird seine Entscheidung voraussichtlich zwei bis drei Wochen nach der Verhandlung verkünden.

GESETZBUCH Juristisch ist die Sache verzwickt. Die Klage lautet auf Beleidigung nach Paragraf 185 Strafgesetzbuch in Verbindung mit einem Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach Paragraf 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Ein Gerichtssprecher nennt diese Konstellation »problematisch«, da die Klage auf Beseitigung Vorrang habe. Anwalt Benecke sagt jedoch, das Wichtigste sei die Feststellung durch das Gericht, dass durch das Schmährelief der Tatbestand der Beleidigung erfüllt sei.

Das Landgericht wird seine Entscheidung voraussichtlich zwei bis drei Wochen nach der Verhandlung verkünden. Neben einem Urteil zulasten der Kirchengemeinde kann diese laut dem Sprecher auch darin bestehen, den Prozess mit einer Beweisaufnahme fortzusetzen – oder in einer »gütlichen Einigung«. Die aber schließt Benecke aus: Über »das Wann und Wie« einer Entfernung der Plastik könne man reden, sagt er, »aber nicht über die Frage, ob oder ob nicht«. Im Falle eines negativen Ausgangs sei sein Mandant bereit, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen.

Deutschland

»Das ist Verrat am Vaterland«

Unionsfraktionschef Jens Spahn äußert sich einmal mehr klar zur AfD

 17.11.2025

Auszeichnung

»Fair auf Israel blicken, ohne Schaum vor dem Mund«

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat den Augsburger Friedenspreis erhalten. In seiner Dankesrede warb er für einen unvoreingenommenen Blick auf den jüdischen Staat

 17.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  17.11.2025

Berlin

Bundesregierung hebt Stopp der Rüstungsexporte nach Israel wieder auf

Die Waffenruhe in Gaza hält seit mehr als fünf Wochen. Die Bundesregierung nimmt das zum Anlass, ihre massiv kritisierte Entscheidung aus dem Sommer rückgängig zu machen

von Michael Fischer  17.11.2025

USA

Kehrtwende? Trump empfiehlt Abstimmung über Epstein-Akten

Der Fall des Sexualstraftäters lässt den US-Präsidenten nicht los. Vor einer Abstimmung im Repräsentantenhaus gibt er einen überraschenden Rat an seine Partei

von Anna Ringle  17.11.2025

Extremismus

Beobachtungsstelle: Tausende christenfeindliche Straftaten in Europa

Europa gilt immer noch als christlicher Kontinent. Doch Experten warnen: Christen sind von einem Klima wachsender Intoleranz bedroht. Auch in Deutschland muss die Lage Besorgnis erregen

 17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Deutschland

Auktion von Besitztümern von NS-Opfern abgesagt

Im Online-Katalog waren unter anderem Dokumente und Post von NS-Verfolgten aus Konzentrationslagern sowie Täterpost zu finden

 16.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Mit Martin Hikel geht einer, der Tacheles redet

Der Neuköllner Bürgermeister will nicht erneut antreten, nachdem ihm die Parteilinke die Unterstützung entzogen hat. Eine fatale Nachricht für alle, die sich gegen Islamismus und Antisemitismus im Bezirk einsetzen

von Joshua Schultheis  16.11.2025