Politik

Nicht systemrelevant

Das Rednerpult der AfD-Fraktion im Bundestag Foto: imago images/Christian Spicker

Der Populismus hat Corona. Die nationalen Alleingänge, die markigen Entscheidungen »starker Männer« und das Desinteresse an wissenschaftlicher Politikberatung erweisen sich nicht als Erfolgsrezepte im Umgang mit einer Pandemie.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der britische Premier Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump versäumten kostbare Zeit, weil sie umfassende Maßnahmen zu lange ablehnten, und ließen ein verantwortungsbewusstes Krisenmanagement kaum erkennen. Ihre Länder gehören zu denen, die von der Pandemie besonders stark getroffen wurden.

vertrauen Doch während andernorts die Exekutive von der Krise profitiert und die Regierungen unerwartet viel Zustimmung erhalten, ist das Vertrauen in die populistischen »Macher« brüchig. Sogar Donald Trump verzeichnet inzwischen sinkende Umfragewerte.

Auch in der Opposition fallen viele Nationalpopulisten deutlich zurück, etwa in Frankreich und Italien. Die Lombardei, in der die rechtspopulistische Lega des früheren italienischen Innenministers Matteo Salvini die Regierung stellt, leidet am meisten unter der Infektionswelle.

Auch die AfD hat zurzeit Probleme. Groß geworden in der »Flüchtlingskrise« 2015, schafft sie es nicht, sich in der Corona-Krise glaubhaft zu positionieren.

Auch die AfD hat zurzeit Probleme. Groß geworden in der »Flüchtlingskrise« 2015, schafft sie es nicht, sich in der Corona-Krise glaubhaft zu positionieren. Das trifft die nationalpopulistische Partei in einer Lage, in der die Beobachtung ihres rechtsextremen »Flügels« durch den Verfassungsschutz interne Konflikte verschärft hat. Bei führenden Meinungsforschungsinstituten liegt sie seit Mitte April nur noch bei neun Prozent.

Der Politikwissenschaftler Cas Mudde hat in einer internationalen Vergleichsstudie 2007 festgestellt, dass mehrere Faktoren für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien verantwortlich sind: erstens die »Nachfrage« nach ihren Inhalten. Die Parteien müssen zweitens ein »Angebot« machen, zum Beispiel in programmatischer oder personeller Hinsicht. Es kommt darauf an, wie geschlossen sie agieren. Drittens müssen sich günstige Gelegenheiten bieten, um die Wähler zu erreichen.

wahlerfolge Das Wählerpotenzial ist vorhanden. Die Wahlerfolge der AfD entsprechen ungefähr den Werten, die für geschlossen rechtsextreme Einstellungen ermittelt werden, gehen aber nicht darüber hinaus.

Seit der Bundestagswahl 2017 hat die AfD ihre Wähler, in absoluten Zahlen, in etwa halten können. Dies gelang ihr sogar bei der Hamburger Bürgerschaftswahl Ende Februar, wo ihr relativ knappes Abschneiden Ergebnis einer erhöhten Wahlbeteiligung war.

Das Bild vom versagenden Staat, der unter Zuwanderungsdruck zerfällt, erweist sich als falsch.

Die AfD kann ihr Wählerpotenzial mobilisieren, ausschöpfen und halten, derzeit aber nicht ausweiten. Es ist der Partei zwar gelungen, günstige Gelegenheiten medial auszunutzen, aber deutlich schwerer gefallen, skandalisierbare Situationen selbst zu erzeugen. Im Februar 2020, als sich Covid-19 bereits pandemisch ausbreitete, unterstrich die AfD während der Regierungsbildungskrise in Thüringen, dass sie aktiv an einer Destabilisierung des politischen Systems arbeitet.

agenda Eine eigenständige Agenda kann die AfD indes bis heute nicht setzen. Profilierte Ressortspezialisten hat sie nicht aufgebaut, echte Expertise fehlt.

Dies gilt vor allem in den aktuell besonders wichtigen Themenfeldern Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitspolitik, wo die AfD-Positionen unklar und widersprüchlich bleiben. Der »Spiegel« berichtete am 20. April, dass sich die Parteiführung mit einer relativ maßvollen Corona-Krisen-Agenda nicht einmal in der Bundestagsfraktion gegen die Bagatellisierung der Pandemie durchsetzen konnte.

In der existenzbedrohenden Krise vertrauen die Menschen den Qualitätsmedien und der Wissenschaft stärker als den irrationalen Randbezirken der sozialen Medien. Die Krisenbewältigungsfähigkeit des politischen Systems in unserer föderalen, parlamentarischen Demokratie ist viel höher, als die AfD über Jahre behauptet hat.

Spaltung der Gesellschaft ist die Erfolgsvoraussetzung und das Ziel der Nationalpopulisten. Gegenwärtig wächst aber das Bedürfnis nach Zusammenhalt.

überzeugungskraft Das Bild vom versagenden Staat, der unter Zuwanderungsdruck zerfällt, erweist sich als falsch. Solange ein wirtschaftlicher Crash verhindert werden kann, fehlt es der rechtsextremen Untergangserzählung an Überzeugungskraft. Im Rückblick zeigt sich, dass die Situation 2015 zwar Teilbereiche von Staat und Gesellschaft vor Probleme führte, aber keineswegs eine Katastrophenlage erzeugte, wie sie im Zuge der Pandemie durchaus zu befürchten bleibt.

Spaltung der Gesellschaft ist die Erfolgsvoraussetzung und das Ziel der Nationalpopulisten. Gegenwärtig wächst aber das Bedürfnis nach Zusammenhalt, und die Menschen hoffen auf politische Stabilität. Zugleich erkennen wir, in wie hohem Maße jene schlecht bezahlten und unsicheren Arbeiten in der Pflege, in der Logistik, im Einzelhandel, die unsere Versorgung garantieren, von Menschen »mit Migrationshintergrund« ausgeübt werden, gegen die die Rechtspopulisten polemisieren. Auch daran sollten wir uns erinnern, wenn die Krise überwunden ist.

Der Autor ist Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum.

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

München

LMU sagt Veranstaltung zu palästinensischer Wissenschaft ab

Die Universität verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass es erhebliche Zweifel gegeben habe, »ob es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung auf dem erforderlichen Niveau gehandelt hätte«

 19.11.2025

Internet

Expertin: Islamisten ködern Jugendliche über Lifestyle

Durch weibliche Stimmen werden auch Mädchen von Islamistinnen verstärkt angesprochen. Worauf Eltern achten sollten

 19.11.2025

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025