Interview

»Jeder zweite Deutsche ist noch nie direkt mit jüdischem Leben in Berührung gekommen«

Philipp Hildmann Foto: ELKB/Rost

Interview

»Jeder zweite Deutsche ist noch nie direkt mit jüdischem Leben in Berührung gekommen«

Philipp Hildmann über die Ergebnisse einer neuen Studie und mangelndes Wissen

 30.11.2021 22:35 Uhr

Herr Hildmann, die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland haben eine Online-Umfrage unter 10.000 Personen zu Berührungspunkten mit jüdischem Leben durchführen lassen. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Erstens: Jeder zweite Deutsche ist noch nie direkt mit jüdischem Leben in Berührung gekommen. Zweitens: Mehr als die Hälfte verbindet das Thema mit politischen und historischen Ereignissen wie Holocaust, Antisemitismus und Nahostkonflikt – und nicht mit kulturellem jüdischen Leben. Bedrückend ist auch ein dritter Befund: Die größte antisemitische Gefahr geht für knapp 43 Prozent der Befragten vom Islamismus aus, der hier sogar den Rechtsextremismus überholt hat.

Überrascht Sie die Distanz zum Judentum, die sich hier manifestiert?
Nicht unbedingt. In manchen Gegenden unseres Landes muss man ja schon sehr viel Glück haben, um überhaupt einem Juden zu begegnen. Und doch markiert dieser Befund auch einen klaren Bildungsauftrag. Wir müssen alles dafür tun, dass das Wissen über eine Gemeinschaft, die unser Land seit 1700 Jahren mitprägt, sich nicht nur auf den zweifellos zentralen Zivilisationsbruch der Schoa konzentriert, sondern auch einen Gegenwartsbezug zu jüdischer Kultur hier und heute hat.

Fehlt es nicht einfach an Möglichkeiten, jüdisches Leben erlebbar zu machen?
Sicherlich. Unsere Umfrage zeigt, dass in Städten mit großen jüdischen Gemeinden deutlich mehr Menschen angaben, jüdische Freunde oder Bekannte zu haben, als in ländlichen Regionen, wo es auch kaum jüdische Kulturveranstaltungen gibt. Umso wichtiger ist es, auch dort Möglichkeiten zu schaffen, jüdisches Leben anschaulich zu erfahren – durch lebendigen Schulunterricht, Exkursionen oder Initiativen wie »Meet a Jew«.

Überschattet der Nahostkonflikt die Wahrnehmung jüdischen Lebens?
Ja. Fast ein Viertel der Befragten denkt beim Judentum am ehesten an die Nahostpolitik. Dabei verbirgt sich hinter einer unverhältnismäßigen Israelkritik eine besondere Form des Antisemitismus, die wir insbesondere im politisch linken Spektrum wahrnehmen. Über diesen perfiden Umweg scheint es wieder möglich zu sein, Juden als vermeintliche Repräsentanten Israels verantwortlich zu machen, zu kritisieren und sie zu einer Rechtfertigung der Politik Israels zu nötigen, ohne sich als antisemitisch zu zeigen.

Fokussiert man sich im öffentlichen Diskurs zu sehr auf negative Aspekte?
Richtig. Natürlich müssen Politik und Gesellschaft Antisemitismus ernst nehmen. Zugleich ist jüdisches Leben aber unendlich viel mehr. Durch diese negative Fokussierung ist leider inzwischen eine Distanz entstanden, die dringend aufgelöst werden muss durch mehr Bildung und Wissensvermittlung.

Das Interview mit dem Leiter des Kompetenzzentrums Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Interkultureller Dialog der HSS führte Michael Thaidigsmann.

Stockholm

Was bleibt von den Mahnungen der Überlebenden?

Der Schoa-Überlebende Leon Weintraub warnt vor der AfD und Fanatismus weltweit. Was für eine Zukunft hat die deutsche Erinnerungskultur?

von Michael Brandt  23.12.2025

Israel

Netanjahu warnt Türkei

Israel will die Zusammenarbeit mit Griechenland und Zypern stärken. Gleichzeitig richtet der Premier scharfe Worte an Ankara

 23.12.2025

New York

Mitglieder von Mamdanis Team haben Verbindungen zu »antizionistischen« Gruppen

Laut ADL haben mehr als 80 Nominierte entsprechende Kontakte oder eine dokumentierte Vorgeschichte mit israelfeindlichen Äußerungen

 23.12.2025

Düsseldorf

Reul: Bei einer Zusammenarbeit mit der AfD wäre ich weg aus der CDU

Die CDU hat jede koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der AfD strikt ausgeschlossen. Sollte sich daran jemals etwas ändern, will Nordrhein-Westfalens Innenminister persönliche Konsequenzen ziehen

 23.12.2025

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025