Konferenz

Naivität und Gewalt

Als die Nachricht verkündet wurde, dass Christian Wulff soeben vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten sei, ging am Freitagvormittag ein Jubeln durch den Konferenzsaal der Heinrich-Böll-Stiftung, als sei ein Tyrann gestürzt worden. Vielleicht ein Beispiel für die unterschiedlichen politischen Prioritäten von Deutschen und Israelis, um die es auf der Tagung »Fremde Freunde? Die israelische und deutsche Sicht auf Staat, Nation, Gewalt. Ein Vergleich« schließlich ging.

Die politische Kultur Deutschlands und Israels entwickelt sich auseinander – zu diesem Schluss kam die grüne Heinrich-Böll-Stiftung, weshalb sie Prominenz aus Wissenschaft, Politik und Publizistik beider Länder in die Berliner Schumannstrasse einlud, um die Frage zu diskutieren, warum das so ist.

Stärke »Die zentralen Begriffe wie Staat, Nation, Religion und das Verhältnis zu militärischer Gewalt sind Indikatoren für die unterschiedliche Mentalität der beiden Länder«, schrieben die Veranstalter in der Ankündigung. »Das Bild Israels in der deutschen Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren verdunkelt. Wenn man heute fragt, was die Leute mit Israel verbinden, dann fallen Signalbegriffe wie Besatzung, Unterdrückung, Landnahme, Militarismus, Apartheid vermutlich sehr viel öfter als Demokratie, Rechtsstaat, kulturelle Vielfalt, High Tech, lebendige Zivilgesellschaft«, so Ralf Fücks, Vorstand der Böll-Stiftung, in seinem Eröffnungsvortrag am Donnerstagabend. Und für die israelische Seite fügte er hinzu: »Israel besinnt sich in einer Situation wachsender Unsicherheit eher auf die eigene Stärke. Die Vorstellung, dass es allein in ihrer Macht liege, den jahrzehntelangen Konflikt um Land und Anerkennung durch einen historischen Kompromiss zu beenden, erscheint in den Augen vieler Israelis als reichlich naiv.«

Monolog Shimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland, meinte gar, es finde gar kein deutsch-israelischer Dialog mehr statt. »Ich höre nur Monologe.« Der Historiker Michael Wolffsohn betonte, dass das Verhältnis zu Staat, Religion und Land in Israel ein ganz anderes sei als in Deutschland. Die Kirchen hätten während der NS-Zeit moralisch versagt; ein ähnliches Versagen gebe es in der jüdischen Religion nicht. Und bei aller Bedeutung des säkularen Judentums: »Ganz ohne Religion läuft die jüdische Chose nicht«, so Wolffsohn. In Deutschland habe man ferner durch den Verzicht auf die ehemaligen Ostgebiete die Erfahrung gemacht, dass das Prinzip Land für Frieden funktioniere, erklärte der Historiker. Israelis hätten nach dem Rückzug aus Gaza und dem Südlibanon die gegenteilige Erfahrung gemacht.

Stiftungschef Ralf Fücks äußerte in der Diskussion mit dem linken israelischen Historiker Gadi Algazi Verständnis für Israels Politik der militärischen Selbstverteidigung, die in Deutschland und Europa auf so scharfe Kritik stößt. »Wenn wir keinen Krieg gegen den Iran wollen«, fragte Fücks, »was haben wir Israel denn dann zu bieten, wenn Sanktionen nicht greifen?« Und auch Ex-Botschafter Stein erinnerte daran, dass deutsche Politiker zwar stets betonten, wie sehr sie sich der Sicherheit Israels verpflichtet fühlen. Wenn er aber nachfragte, wie diese Verpflichtung im Krisenfall aussehen würde, bekäme er keine Antwort.

Verteidigung

Bundeswehr nimmt Raketenwehrsystem Arrow 3 in Betrieb

Deutschland baut als Reaktion auf die Bedrohung durch Russland die Luftverteidigung aus und hat ein System in Israel beschafft. Es soll feindliche Flugkörper schon in größter Höhe zerstören können

von Carsten Hoffmann  03.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Medien

»Antisemitische Narrative«: Vereine üben scharfe Kritik an Preis für Sophie von der Tann

Die Tel-Aviv-Korrespondentin der ARD soll mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt werden

 03.12.2025

Prozess

Opfer des Attentats am Holocaust-Mahnmal hörte »Allahu akbar«-Ruf

Dem spanischen Touristen Iker M. wurde im Februar von einem 19-jährigen Syrer beim Besuch des Berliner Holocaust-Mahnmals mit einem Messer in die Kehle geschnitten. Vor Gericht berichtete er von Angstzuständen, die er seitdem hat

 03.12.2025

Nach Eklats

Präsidentin der TU Berlin abgewählt

Sie war einst im Beraterkreis des damaligen Kanzlers Olaf Scholz und sorgte immer wieder für Kontroversen. Nun ist Geraldine Rauch als TU-Präsidentin abgewählt. Ihre Nachfolgerin ist keine Unbekannte

 03.12.2025

Ehrung

»Ahmad Mansour kämpft nicht gegen Symptome, sondern gegen Ursachen«

Der Islamismusexperte Ahmad Mansour wurde mit dem Hanns-Martin-Schleyer-Preis ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Wir dokumentieren die Rede

von Josef Schuster  03.12.2025

Analyse

Der Kanzler in Israel: Antritt mit Spannung

Friedrich Merz besucht am Samstag Israel. Die Beziehungen beider Länder sind so strapaziert wie selten zuvor. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Reise des Bundeskanzlers

von Joshua Schultheis  03.12.2025

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Verteidigung

Merz und Pistorius nicht bei Einführung von »Arrow 3«

Die Bundesregierung hatte immer wieder betont, wie wichtig das israelische Raketenabwehrsystem für Deutschlands Sicherheit sei

 03.12.2025