Urteil

Mitglieder wider Willen

Foto: Thinkstock

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat ein jüdisches Ehepaar aus Frankfurt am Main zu einer nachträglichen Zahlung von Steuern an die Jüdische Gemeinde Frankfurt verpflichtet, obwohl die beiden Juden schon 2003 aus der Gemeinde ausgetreten sind. Laut dem Urteil des Gerichts vom Mittwoch müsste das Paar mehr als 114.000 Euro Gemeindesteuer nachzahlen (BVerwG 6 C 2.15 – Urteil vom 21. September 2016).

Die beiden Juden waren 2002 aus Frankreich nach Frankfurt gezogen und hatten bei der Meldebehörde »mosaisch« als Religionszugehörigkeit angegeben. Damit wurden sie automatisch als Mitglieder der Jüdischen Gemeinde geführt. Erst ein Jahr nach seinem Wohnortwechsel widersprach das Paar formal seiner Mitgliedschaft und gab als Begründung an, die Frankfurter Gemeinde sei ihnen als liberalen Juden zu orthodox. Laut Gemeindesatzung war dies jedoch zu spät. Die Frist zum Widerspruch beträgt laut Satzung drei Monate.

Einheitsgemeinde »Das Argument, die Kläger kämen aus dem laizistischen Frankreich und seien mit dem Prinzip der Einheitsgemeinde nicht vertraut, zieht nicht. Die Klägerin war bereits bis zum Jahr 1969 Mitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, bevor sie nach Frankreich zog«, sagte Marc Grünbaum, Vorstandsmitglied der Gemeinde, der Jüdischen Allgemeinen am Donnerstag.

Außerdem betonte er: »Das Argument, den Klägern sei die Gemeinde zu orthodox, zieht ebenfalls nicht. Wir sind eine Einheitsgemeinde, in der es einen orthodoxen, einen ultraorthodoxen und einen liberalen Ritus gibt. Es steht demnach jedem Mitglied frei, für welche der Synagogen beziehungsweise Gebetsräume er sich entscheidet.«

Westend-synagoge Das Klägerehepaar habe überdies »mehrmals die Hohen Feiertage in der Großen Westend-Synagoge verbracht, die einen orthodoxen Ritus hat«, sagte Grünbaum, betonte aber auch: »Damit wir uns nicht missverstehen: Zu den Hohen Feiertagen ist jeder in der Westend-Synagoge willkommen.«

Weil der Rechtsstreit sich bereits seit Jahren durch verschiedene Instanzen zieht, hatten die Leipziger Richter am Mittwoch einen Vergleich vorgeschlagen. Marc Grünbaum lehnte das aber ab. »Wir können über eine Steuerpflicht insbesondere zur Höhe der Steuer prinzipiell nicht verhandeln. Es kann nicht sein, dass wir es akzeptieren, wenn ein Mitglied mit der Bitte zu uns kommt, nur die Hälfte bezahlen zu wollen und anderenfalls droht, vor Gericht zu gehen«, sagte er.

Außerdem betonte Grünbaum, in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gelte Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit, und zwar für alle Mitglieder. 2010 hatte das Bundeverwaltungsgericht dem Paar recht gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings 2014 geurteilt, die automatische Mitgliedschaft des Paares sei aufgrund der im Melderegister angegebenen Religion »mosaisch« rechtens.

Revisionsantrag Damit wurde der Fall erneut an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen, das nun den Revisionsantrag des Ehepaars zurückwies. Die Leipziger Richter beriefen sich auf dieses Urteil vom Dezember 2014 (2 BvR 278/11), laut dem die Angabe der Religionszugehörigkeit beim Einwohnermeldeamt als Grundlage für eine Gemeindemitgliedschaft heranzuziehen sei. Diese Regelung sei, wie das Bundesverfassungsgericht bereits urteilte, nicht als eine vom Grundgesetz verbotene »Zwangsmitgliedschaft« zu bewerten.

Der Jurist Grünbaum sagte dazu: »Bei dem jüngsten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ging es darum, ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2014 auch einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ausgeschlossen hat, also um eine Frage des Kollisionsrechts.« Das Bundesverwaltungsgericht habe sich also entgegen der öffentlichen Darstellung nicht mit einer angeblichen Zwangsmitgliedschaft befasst: »Denn maßgeblich ist, dass das Bundesverfassungsgericht aus einer Vielzahl von Handlungen und Erklärungen der Kläger positiv deren Beitrittswillen geschlossen hat. Es lag also eine Erklärung vor und keine Zwangsmitgliedschaft«, so Grünbaum.

Der Anwalt des Paares kündigte laut Medienberichten an, erneut Verfassungsbeschwerde einzulegen und möglicherweise auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen.

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025

FU Berlin

Francesca Albanese soll an der FU Berlin sprechen

Nach der Absage an der LMU München soll die UN-Sonderbeauftragte nun in der Hauptstadt sprechen

 10.02.2025

München

»Die AfD ist die stärkste Bedrohung für jüdische Menschen in Deutschland«

Charlotte Knobloch äußert sich zum Vorgehen der Union Woche im Bundestag. Die AfD hatte zusammen mit CSU/CSU und FDP für eine Verschärfung des Asylrechts gestimmt

von Imanuel Marcus  10.02.2025

Interview

»Es gab keine Zusammenarbeit mit der AfD«

Der CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz über die Brandmauer zur AfD, den Schutz jüdischen Lebens und die besondere deutsche Verantwortung gegenüber Israel

von Joshua Schultheis, Philipp Peyman Engel, Tobias Kühn  10.02.2025

Meinung

Da kann man sich gleich Björn Höcke einladen

UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese hätte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sprechen sollen. Dabei hat sie sich für den akademischen Diskurs disqualifiziert

von Ralf Balke  10.02.2025

New Orleans

Palästinensische Flagge bei 59. Super Bowl gezeigt

Ein Mitglied einer Tänzergruppe bekommt deswegen eine Strafe der NFL

 10.02.2025

AfD-Strategie

Forscherin: AfD nutzt soziale Medien gezielt, um Holocaust umzudeuten

AfD-Mitglieder und -Anhänger behaupteten unter anderem, wohlhabende Juden würden als vermeintliche »Strafe« für den Holocaust gezielt die deutsche Gesellschaft durch Migration »ausrotten« wollen

 10.02.2025

Berlin

Weidel-Patzer: Sind wirklich fast 1000 Juden Mitglieder der AfD?

Die tatsächliche Zahl jüdischer Mitglieder in der zumindest in Teilen rechtsextremistischen Partei ist »etwas« niedriger

von Imanuel Marcus  10.02.2025

Berlin

Israelfeindliche Demo: 28 Festnahmen, zweimal »Anschlussgewahrsam«

Die Liste der von Teilnehmern begangenen Delikte enthält Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung

 10.02.2025