Redezeit

»Merkels Frust war sehr groß«

Herr Kornblum, was bedeuten die gegenwärtigen Umwälzungen in der arabischen Welt für Israels Sicherheit?
Die Protestbewegungen führen zu einer vollkommen neuen Situation im Nahen Osten. Ob dies für Israel ein Nachteil sein wird, ist im Moment schwer absehbar. Ich persönlich schätze die Lage als explosiv ein, denn Staaten wie Ägypten und Tunesien haben keinerlei Erfahrungen mit dem Aufbau demokratischer Strukturen. Israel sollte deshalb versuchen, die Entwicklungen in eine möglichst positive Richtung zu beeinflussen.

War es ein Fehler von Benjamin Netanjahu, so lange an Hosni Mubarak festzuhalten?
Das war für Israel und den ganzen Westen strategisch falsch. Nun aber erleben wir, dass alles ein dynamischer Prozess ist und auch Jerusalem Ausschau nach demokratischen Kräften hält. Für den Frieden mit seinen Nachbarn war es zudem schon einmal ein gutes Signal, dass Netanjahus Regierung dieser Tage Siedlungs-Außenposten in Cisjordanien geräumt hat. Generell ist es wichtig, dass auch Israel zu Kompromissen bereit ist – trotz aller Ungewissheiten, die damit verbunden sein können.

Iranische Kriegsschiffe haben erstmals seit über drei Jahrzehnten den Suezkanal passiert. Ist das ein Vorbote dessen, was Jerusalem durch die Revolution in Ägypten bevorstehen könnte?
Nicht zwingend. Ich vermute, dass das eine reine Kraftprobe Irans war, die nicht viel bedeuten muss. Vielleicht ist es auch nur ein Zeichen, mit dem die neuen Machthaber in Kairo ihre politische Unabhängigkeit von Israel unterstreichen möchten.

Die Hamas verstärkte zuletzt ihre Raketenangriffe, worauf Jerusalem mit Luftangriffen reagierte. Wie groß ist die Gefahr, dass die Situation erneut eskaliert?
Wir wissen, dass die Hamas nicht eben friedliebend ist. Sie prüft sehr genau, wo es entlang der Grenze zu Ägypten Schlupflöcher für etwaige Terroraktionen gibt. Aus diesem Grund muss Israel schon im Vorfeld wachsam sein, um eine Gewaltspirale wie vor dem Gaza-Krieg im Dezember 2008 zu verhindern.

Die Bundesrepublik hat im UN-Sicherheitsrat einem Resolutionsentwurf mit dem Ziel einer Verurteilung der israelischen Siedlungspolitik zugestimmt. Eine Zeitenwende im deutsch-israelischen Verhältnis?
Die Frustration auf Seiten von Angela Merkel war offenbar sehr hoch. Auch zwischen Barack Obama und Netanjahu gab es bereits lautstarke Auseinandersetzungen. Ich nehme an, die Bundeskanzlerin wollte ein Zeichen setzen. Ich glaube nicht, dass das die israelische Politik beeinflussen wird.

Steht Israel international alleine da und ist nur noch durch das amerikanische Veto geschützt?
Das Prinzip unserer Außenpolitik ist in jedem Fall, dass Jerusalem nicht von der Welt isoliert werden darf. Die USA haben dem jüdischen Staat stets verlässlich beigestanden, auch wenn es zuweilen schwierig war. Darauf kann sich Netanjahus Regierung verlassen. Wenn die USA Israel nicht unterstützen, wer dann? Deutschland und die EU tun es anscheinend nicht.


John C. Kornblum wurde am 6. Februar 1943 in Detroit geboren und war als Diplomat vorrangig in Deutschland aktiv. Berühmt wurde er durch einen von ihm arrangierten Agentenaustausch zwischen der DDR und der BRD 1985 auf der Glienicker Brücke.

Geschichte

Rechts und links: Wie die AfD ein falsches Goebbels-Zitat verbreitet

Ein Faktencheck

 02.07.2025

Reaktionen

Massive Kritik an Urteil über Charlotte Knoblochs Ex-Leibwächter

Der Mann bewachte die Präsidentin der IKG München, obwohl er sich privat judenfeindlich und rassistisch äußerte. Für das Verwaltungsgericht nicht genug, um ihn aus dem Polizeidienst zu entlassen

 02.07.2025

Kommentar

Justiz: Im Zweifel für Antisemitismus?

Ein Verwaltungsgerichtsurteil lässt große Zweifel aufkommen, dass es alle mit der Bekämpfung von Antisemitismus unter Beamten ernst meinen

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025

Australien

Zwei Krankenpfleger, die damit drohten, jüdische Patienten zu töten, haben Arbeitsverbot

Im Februar sorgte ein TikTok-Video für Abscheu und Empörung, in dem zwei Krankenpfleger ihrem blanken Judenhass freien Lauf ließen. Nun stehen sie vor Gericht

 02.07.2025

Nach Skandal-Konzert

Keine Bühne bieten: Bob-Vylan-Auftritt in Köln gestrichen

Die Punkband hatte beim Glastonbury-Festival israelischen Soldaten den Tod gewünscht

 02.07.2025

Statistik

Deutlich mehr antisemitische Vorfälle in Brandenburg

Der aktuelle Monitoringbericht der Fachstelle Antisemitismus für 2024 dokumentiere einen Anstieg um mehr als 28 Prozent auf insgesamt 484 Fälle

 02.07.2025

Pro & Contra

Sollte der Krieg in Gaza beendet werden?

Zwei Meinungen zur Debatte

von Dan Schueftan, Sabine Brandes  02.07.2025

Einspruch

Wir müssen gegen den Iran wehrhaft sein

Die deutsche Politik braucht eine entschlossene Haltung gegen die terroristische Bedrohung aus Teheran. Die jüdischen Gemeinden machen es vor: Sie investieren in Sicherheit und mentale Standhaftigkeit

von Josef Schuster  02.07.2025

Berlin

»BILD«: Hinweis auf Ausspähung von deutschen Juden durch den Iran kam vom Mossad

Die Hintergründe

 01.07.2025