Schweiz

»Lieber Presserat, wir müssen reden«

Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes Foto: Gregor Zielke

Schweiz

»Lieber Presserat, wir müssen reden«

Zwei Urteile des Medienaufsichtsgremium stoßen dem Schweizerischen Jüdischen Gemeindebund sauer auf

 30.08.2021 17:27 Uhr

In der jüdischen Gemeinschaft der Schweiz gibt es Unmut über den Presserat des Landes. Das unabhängige Medienaufsichtsgremium hatte vor kurzem einen Artikel im Online-Nachrichtenportal »Prime News« gerügt.

Grund: Der »Prime News«-Text hatte sich mit der israelfeindlichen BDS-Bewegung befasst und diese als »antisemitisch gefärbt« eingestuft. Damit, so der Presserat, habe das Medium seine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung verletzt. Prime News wurde vorgeworfen, unsachlich berichtet, Expertenmeinungen nicht berücksichtigt und falsche Antisemitismusdefinitionen verwendet zu haben.

Nun hat das Gremium, das aus 21 Mitgliedern besteht, erneut einen Schiedsspruch veröffentlicht, den der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) für nicht nachvollziehbar erachtet. Dieses Mal geht es um einen Artikel des Finanzportals »Inside Paradeplatz«. In dem Artikel werde ein »einseitiges, oberflächliches und unsympathisches Bild streng religiöser Juden und ihrer Familien« gezeichnet und gleichzeitig liberale jüdische Menschen »als kultiviert, gebildet und unverschämt reich« dargestellt.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Obwohl der Presserat zwar rügte, dass der Artikel antijüdische Stereotype reproduziere und teilweise der Eindruck entstünde, dass der Autor diese teile, liege hier keine Verletzung des Diskriminierungsverbots vor, da die abwertenden Äußerungen eine gewisse »Mindestintensität« nicht erreichten.

»REALITÄTSFERNE« In einem offenen Brief, der Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde, kritisierte SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner nun den Presserat scharf und sprach von »Absurdität und Realitätsferne« des Gremiums. Kreutner wörtlich: »Betrachtet man beide Urteile des Presserats, so kann man überspitzt formuliert folgende Schlussfolgerung ziehen: Jüdische Menschen zu diskriminieren, ist für den Presserat zulässig, da es zur freien Meinungsäußerung gehört. Die BDS-Bewegung, die gemäß allgemeingültiger Lehrmeinungen antisemitische Handlungsmuster aufweisen kann, als antisemitisch gefärbt zu bezeichnen, ist dagegen für den Presserat nicht zulässig, weil das die Wahrheitspflicht verletze.«

Mit Blick auf das erste Urteil erklärte der SIG-Generalsekretär, der Presserat bediene sich in seiner Herleitung der Argumentation der BDS-Bewegung und übernehme diese kritiklos. Gleichzeitig werde die international und seit kurzem auch in der Schweiz offiziell anerkannte Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) einfach ignoriert.

KLARSTELLUNG Als »besonders stoßend« nannte Kreutner die Aussage des Rates, dass umstritten sei, ob man die Ablehnung von Israels Existenzrecht als antisemitisch ansehen könne. Seriöse Stellen, darunter die IHRA, sähen genau ganz anders. Offensichtlich sei, so Kreutner weiter, dass der Presserat im Unterschied zum österreichischen Aufsichtsgremium auf eine kritische Betrachtungsweise des BDS weitgehend verzichten wolle.

»Man muss man sich unweigerlich die Frage stellen, wie ernst es dem Presserat im Umgang mit Antisemitismus ist. Es gibt hier wenig hinzufügen. Eine Klarstellung des Presserats zu seiner Haltung in dieser Frage gegenüber der jüdischen Gemeinschaft wird dringend erwartet. Gerne können wir das gemeinsam diskutieren«, endete der SIG-Vertreter seinen offenen Brief. mth

Digitale Erinnerung

Neue App zeigt Deutschland-Karte mit Nazi-Verbrechen

Von 1933 bis 1945 haben die Nationalsozialisten Menschen enteignet, missbraucht, getötet. Die Untaten auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik versammelt eine neue App. Schon zum Start gibt es eine Erweiterungs-Idee

von Christopher Beschnitt  07.05.2025

Globaler Antisemitismus

J7 beklagen Staatsversagen beim Kampf gegen Judenhass

Ziele sind Einrichtungen wie Synagogen und Schulen - aber auch Menschen. Ein Bericht zeigt erschreckende Zahlen zu Antisemitismus in Deutschland, den USA, Argentinien, Großbritannien, Kanada, Frankreich und Australien

von Leticia Witte  07.05.2025

Kommentar

Mit aller gebotenen Härte

Ein AfD-Verbotsverfahren ist nach der Verfassungsschutz-Einschätzung der Partei als rechtsextremistisch dringlicher denn je

von Philipp Peyman Engel  07.05.2025

Tel Aviv/Berlin

Israel und Deutschland: 60 Jahre diplomatische Beziehungen

Deutschland und Israel haben am 12. Mai 1965 diplomatische Beziehungen aufgenommen. Dies feiern beide Länder mit einem symbolträchtigen Besuch von Herzog in Berlin und Steinmeier in Israel

 07.05.2025

Berlin

Weimer: Antisemitismus in der Kultur als erstes großes Thema

Der neue Staatsminister für Kultur und Medien will an seinem ersten Tag ein Zeichen setzen - und empfängt gleich einen besonderen Gast

 07.05.2025

Potsdam

Auch AfD Brandenburg als gesichert rechtsextrem eingestuft

Die Einstufung stammt bereits aus dem April, doch Innenministerin Lange erfuhr erst jetzt davon. Landesverfassungsschutz-Chef Müller muss deshalb gehen

 07.05.2025

Hamm/Hagen

Gerichtsentscheidung zu jüdischem Konto aus Nazi-Zeit

Während der NS-Diktatur wurden Juden systematisch enteignet. Ein Urenkel verlangt vor Gericht Auskunft, was aus einem alten Konto seiner Vorfahren geworden ist. Nun steht ein Urteil an

 07.05.2025

Berlin

Kabinett streicht zum Auftakt 25 Posten, Felix Klein bleibt

Der Tag wurde deutlich länger als erwartet, aber am Ende kam das frisch vereidigte Kabinett dann doch noch zum ersten Mal im Kanzleramt zusammen - und traf eine erste Entscheidung

 07.05.2025

Nahost

Waffenruhe zwischen den Huthi und den USA

Trump verkündet ein Ende der Angriffe im Jemen. Hat dies mit den Atomgesprächen mit Teheran zu tun?

 07.05.2025