Bedroht

Letzte Bastionen

Wer ablehnt, überhaupt mit dem Gegner zu sprechen, greift irgendwann zu anderen Mitteln: Die linke, antisemitismuskritische Kneipe Bajszel wurde mehrfach angegriffen. Auch von anderen Linken, vermutet der Betreiber. Foto: picture alliance/dpa

Der Wind pfeift eisig an diesem Samstagabend über die Gleise am Berliner Ostkreuz. Aus einem braungrauen geduckten Gebäude wummert der Bass. Vor dem Klub leuchtet eine Türsteherin in die Taschen der ersten Nachtschwärmer. Plötzlich tauchen aus der Dunkelheit zwei Radfahrer auf. Vermutlich eine junge Frau und ein Mann, ihre Gesichter sind vermummt. Sie halten an, einen Fuß auf dem Bordstein, zerren eine palästinensische Fahne aus ihrem Rucksack und beginnen, die Leute in der Schlange anzuschreien: »Wisst ihr eigentlich, dass ihr Kindermörder seid?«

Dann öffnet sich eine schwere Metalltür an der Seite des Klubs, ein Mann mit Cappy winkt herein und hebt entschuldigend die Schultern. »So etwas passiert momentan leider öfter«, sagt er. Vorbei an Pfandflaschenkisten führt Flo ins Innere des »About Blank«, den Klub, in dem er schon seit 13 Jahren arbeitet. Damals begann das »Blank« gerade die Berliner Partyszene aufzumischen. Unter Mottos wie »Love Techno, Hate Germany« tanzte die linke Szene hier gegen das an, worauf sich alle einigen konnten. »Wir haben es eigentlich immer gemieden, uns direkt zum Nahostkonflikt zu positionieren«, sagt Flo. Das sei in der deutschen Linken aber stets schwierig gewesen. Und seit dem 7. Oktober sei es unmöglich geworden.

Vor einem Jahr ging der Untergrundklub durch die Medien, weil Unbekannte über den Eingang ein riesiges rotes Dreieck gesprüht hatten. Die Hamas nutzt das Symbol, um in Propagandavideos israelische Soldaten als Tötungsziele zu kennzeichnen, ganz so wie in einem Computerspiel. Diese »Feindmarkierung«, so schrieb der Klub später in einem Statement, sei nicht der erste Angriff gewesen. Ihm sei eine »Serie von Schmierereien, Fäkalienwürfen und anderer physischer Attacken, unter anderem mit Buttersäure« vorausgegangen. Die Gewalt belaste die Mitarbeitenden psychisch. Man habe das ständige Gefühl »getrieben zu sein, statt gestalten zu können.«

Der Techno-Klub »About Blank« im FriedrichshainFoto: Stephan Pramme

Das About Blank ist eines von drei linken Häusern, die sich nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 öffentlich solidarisch mit den israelischen Opfern gezeigt haben – und seitdem mit den Konsequenzen kämpfen. Es sind subkulturelle Räume, ein Klub, eine Bar und ein Kulturzentrum. Ihre Betreiber bezeichnen sich selbst als »linksradikal«. Gleichzeitig werden sie von anderen Linken angegriffen. Es ist ein jahrzehntealter Konflikt in der Szene, der mit völlig neuen Methoden geführt wird.

Lagebesprechung im Krisenfall

Im About Blank gibt es an diesem Abend Mate mit Schuss, aber die meisten nippen nur an einem Bier. Flo hat vor der Partynacht zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, man könnte auch sagen: zu einer Lagebesprechung im Krisenfall. Denn der Klub wird seit dem 7. Oktober nicht nur physisch angegriffen – er wird isoliert und boykottiert. DJs, Künstler und Veranstalter sagen ab, Partys platzen.

Flo erklärt sich die ganze Geschichte so: Schon lange vor dem Gazakrieg galt das About Blank in bestimmten Kreisen als tabu. So rief die »BDS«-Kampagne 2019 zum Boykott des Klubs auf, unter anderem, da dieser in der Vergangenheit Feiernden untersagt habe, ein Palästinensertuch zu tragen. Das Urteil: Wer in diesem Klub tanzt oder arbeitet, mache sich »mitschuldig an der Förderung des israelischen Apartheid-, Siedlerkolonialismus- und Besatzungsregimes«.

Für einige Radikale ist klar: Wer hier feiert, ist mit schuld an der israelischen »Apartheid«.

Doch seit dem 7. Oktober 2023 hat die Kampagne neue Dimensionen angenommen. Immer mehr Einzelpersonen scheinen sich an diesen Listen zu orientieren und gezielt Künstler und Veranstalter auf sozialen Medien anzuschreiben, um sie davon abzubringen, mit dem Klub zusammenzuarbeiten. »Die BDS-Strategie ist total aufgegangen«, sagt Flo.

Einst gehörte das Ausflugslokal einer jüdischen Familie, ab 1937 traf sich hier die Hitlerjugend, zu DDR-Zeiten die FDJ

Ein paar Monate zuvor, am Rande des Leipziger Auwalds. Das Laub auf der Erde raschelt, als Ben die Tür zum »Eiskeller« aufschließt. Einst gehörte das Ausflugslokal einer jüdischen Familie, ab 1937 traf sich hier die Hitlerjugend, zu DDR-Zeiten die FDJ. Nach der Wende ließ sich die Stadt von einer Gruppe Besetzer überreden, ihnen das Gelände zur Selbstverwaltung zu überlassen. Ben wuchs damals in einem Plattenbau in der Nähe auf, zwischen Nazis, erzählt er. Das »Conne Island« war seine rettende Insel.

Das »Conne Island« in Leipzig-ConnewitzFoto: picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Heute ist Ben 38, er bucht Musiker, die hier auftreten. Doch seit dem Krieg in Israel ist auch diese Bühne immer wieder leer geblieben. Denn Conne Island steht ebenfalls auf Boykottlisten, die das Kulturzentrum als »pro-zionistisch« markieren. Mehr als 15 Künstler und Veranstalter hätten ihm im vergangenen Jahr mit dem Verweis darauf abgesagt, sagt Ben. Noch mehr aber wurden plötzlich krank oder waren nicht mehr zu erreichen. »Die meisten haben vielleicht gar keine feste Meinung zum Nahostkonflikt«, überlegt Ben, »aber sie fürchten, mit dem Auftritt bei uns bereits eine Position einzunehmen, für die sie angegriffen werden könnten«.

Die Anschuldigungen gegen das Conne Island basieren auf Lügen, meint Ben. So war 2019 in einem offenen Brief der »Initiative für eine linke Gegenkultur« zu lesen, wer die israelische Rechtsregierung kritisiere, bekomme im Island schnell ein Auftrittsverbot. Dabei, sagt Ben, diskutiere man im Plenum seit Jahren kontrovers über Israels Rechtsruck. »Nach außen dringt aber nur, was bei uns Minimalkonsens ist: Israels Existenzrecht als einziger jüdischer Staat ist nicht diskutabel. Das reicht aber für manche Linke schon.«

Es geht um mehr als das wirtschaftliche Überleben des Kulturzentrums

Früher sei die Taktik gewesen, Boykott­aufrufe weitestgehend zu ignorieren, sagt Ben. Aber Corona und die Inflation hätten bereits ein ordentliches Loch in den mageren Haushalt des Zentrums gerissen – und wenn nun auch noch Künstler ihre Samstagabendshows canceln, weil jemand sie auf Instagram einschüchtert, bekomme er auf die Schnelle keinen Ersatz organisiert.

Man spürt, dass Ben mehr umtreibt als das wirtschaftliche Überleben des Kulturzentrums. Die israelsolidarische linke Szene, für die Leipzig einst berühmt und berüchtigt war, ist mit ihm alt geworden. Viele junge linksradikale Gruppen, die in den vergangenen Jahren hier erstarkt sind, gehen selbstverständlich mit jenen auf die Straße, die den jüdischen Staat gewaltvoll von der Landkarte entfernen wollen. Manchmal geht Ben auf eine Gegendemo.

Die linke Szene sei zerissen und geschwächt, sagt Ben, ausgerechnet jetzt. Die Nazis, die früher neben ihm im Plattenbau lebten, säßen inzwischen in den Parlamenten. Im Leipziger Stadtrat hat die AfD schon mehrfach Anträge eingereicht, um dem Conne Island die Kulturförderung zu streichen. Doch statt sich dagegen zu verbünden, spreche man nicht einmal miteinander, stellt Ben fest.

Ein Blick in die Geschichte

Warum spaltet sich die linke Szene an einem Krieg, der Tausende Kilometer entfernt stattfindet? Es lohnt ein Blick in die Geschichte. Im Nachhall des Naziregimes sahen viele Linke Israel als ein kleines sozialistisches Projekt gegen die Übermacht der arabischen Liga. Doch dann gewann dieses Israel im Sechstagekrieg an Macht und Land – die Unterdrückten, so schien es vielen, waren nun die Palästinenser. Der Antizionismus gedieh. In seinen radikalsten Auswüchsen legitimierte er für deutsche Linksextreme, eine Brandbombe zum Schoa-Gedenken in das Berliner Gemeindezentrum zu schmuggeln, oder jüdische Passagiere als Geiseln nach Entebbe zu verschleppen.

Im linken Kulturbetrieb scheinen die Fronten mittlerweile verhärtet
zu sein.

Anfang der 90er-Jahre änderte sich das linke Gefüge. Aus Furcht vor einem Wiedererstarken patriotischer Gefühle nach dem Mauerfall entstanden die »Antideutschen«. Zehntausende junge Linke gingen gegen die Wiedervereinigung auf die Straßen. Aus der Jugendkultur gegen Schwarz-Rot-Gold entstand eine Szene, die sich gern in Blau-Weiß hüllte und ihre Unterstützung für den jüdischen Staat als Gegenmodell zum deutschen Wahn in eigenen Zeitschriften diskutierte.

Die seit den 70-ern aktiven »Antiimperialisten«, aus denen sich die Antideutschen einst herausgelöst hatten, hielten dagegen. Hier wähnte man sich noch an der Seite der Unterdrückten und Verdammten dieser Erde – Juden aber schienen nicht mitgemeint. Sie seien priviligierte Europäer, die den indigenen Palästinensern ihr Land rauben. Der jüdische Staat – ein »Brückenkopf« des verhassten »US-Imperialismus«.

Intifada und Irakkrieg spalteten das linksextreme Lager

Spätestens mit der zweiten Intifada in Israel und dem Irakkrieg spaltet sich das linksextreme Lager auf den Demos in »Anti-Dʼs« und »Antiimps«. Jedes Aufflammen des Konflikts im Nahen Osten entfacht nun auch diese linken Grabenkämpfe in Deutschland neu. Gerade im Kulturbetrieb scheinen die Fronten mittlerweile so verhärtet, dass es schon als abtrünnig gilt, dem anderen zuzuhören.

Wer es in einem politischen Konflikt ablehnt, überhaupt mit dem Gegner zu sprechen, greift irgendwann zu anderen Mitteln. Das kann man heute schon in Berlin-Neukölln beobachten. An einem kleinen Platz leuchtet eine Kneipe in die Nacht hinaus. Das Glas im Ladenfenster ist gesprungen. Erst im Dezember warfen Unbekannte einen Pflasterstein auf das Lokal, während drinnen Menschen saßen. »Nur das Sicherheitsglas hat uns geschützt«, sagt Alex, der die »ProgrammSchänke« vor knapp drei Jahren mitaufgebaut hat.

Das Bajszel im Berliner Stadtteil Neukölln Foto: Stephan Pramme

Er wollte einen linken Raum schaffen, der die Ideen aus den Unis in die Kneipe bringt. Hier gibt es Schmalzbrote, Fassbier und beinah jeden Abend politische Vorträge. Oft geht es um Antisemitismus, jüdischen Widerstand, und Israel. Die Fassade der Kneipe zeugt von dem Hass, den diese Themen auslösen. Manchen aber reicht das Geschmiere nicht: Im September gab es einen Brandanschlag. Im Oktober flog ein Stein. Im Dezember noch einer. Anfang Februar kamen zwei Männer in die Kneipe und fragten Alex, ob er Israeli oder Jude sei. »Ich hatte gerade aufgemacht und war noch ganz allein«, erzählt Alex. Die Männer brüllten »Fuck Israel« und »Tod den Juden«.

Das Polizeiauto, das seit einigen Monaten vor der Kneipe wacht, war noch nicht vorgefahren. Die Täter wurden nicht gefasst, wie so oft. Es seien eigentlich vor allem linke Studenten aus der pro-palästinensischen Szene, die seine Kneipe im Visier hätten, vermutet Alex. Doch das ziehe auch organisierte Islamisten an. Einen der beiden Männer, die ihn bedroht haben, hätte er später auf einem Zeitungsfoto wiedererkannt: Er ist in Neukölln ein bekannter Hamas-Unterstützer. Trotz der Bedrohung lasse Alex es sich nicht nehmen, beides zu bleiben: antisemitismuskritisch und linksradikal. Der Preis dafür aber ist höher denn je.

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