In der Bundesregierung vergrößern sich die Differenzen bei der Haltung Deutschlands gegenüber Israels Kriegsführung in Gaza. Die SPD im Bundestag dringt darauf, dass sich Deutschland einer Forderung von mehr als zwei Dutzend Staaten nach einem sofortigen Ende des Kriegs im Gazastreifen anschließt. Die CDU verteidigte die Haltung ihres Außenministers Johann Wadephul, die Erklärung nicht zu unterzeichnen, und warnte vor einer weiteren Isolation Israels.
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schrieb auf der Plattform X: »Wenn internationales Recht systematisch verletzt wird, muss das Konsequenzen haben.« Miersch: »Deutschland sollte sich der Initiative Großbritanniens anschließen und hier nicht ausscheren.«
Die Hamas erwähnte Miersch nicht. Die Terrororganisation hat weiterhin 50 Geiseln in ihrer Gewalt. Seit 656 Tagen werden sie in Terrortunneln festgehalten. 30 von ihnen sollen bereits tot sein. Die Hamas hungert ihre Geiseln aus und foltert sie, wie aus den Berichten früherer Verschleppter hervorgeht. Auch wurden bereits viele Geiseln von den Terroristen ermordet.
»Klares Signal gesetzt«
Israel versucht, die Geiseln zu befreien. Auch soll die Hamas zerschlagen werden, damit sich die Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht wiederholen. Israelische Soldaten bewachen die Verteilstationen der Gaza Humanitarian Foundation.
Miersch erklärte, es sei »richtig, dass 28 Staaten – darunter unsere engsten Partner wie Frankreich, Kanada und Österreich – ein klares Signal gesetzt haben«. Das humanitäre Leid in Gaza sei erschütternd. »Verhungernde Kinder, zerstörte Infrastruktur, Angriffe auf Hilfesuchende – das widerspricht allem, was das humanitäre Völkerrecht schützt«, so Miersch.
Die israelische Armee hat mindestens drei Tote durch «ungenauen Artilleriebeschuss» bestätigt. Der Beschuss habe aber nicht den Zivilisten gegolten.
Deutschland trage eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels – aber auch für die Einhaltung des Völkerrechts und den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung, so Miersch. »Doppelte Standards untergraben unsere internationale Glaubwürdigkeit.«
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kritisierte Israel. Er nannte die Situation im Gazastreifen erneut »nicht länger hinnehmbar«. »Ich will auch die israelische Regierung jetzt wirklich mit großem Nachdruck auffordern, die massiven militärischen Interventionen zu stoppen, einen Waffenstillstand zu ermöglichen und vor allem die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung dort zu ermöglichen«, sagte der CDU-Vorsitzende in einer Pressekonferenz mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala in Berlin.
Israelischen Angaben zufolge entstand der derzeitige Engpass allerdings, da die UNO bereits abgefertigte LKW-Ladungen in Gaza nicht verteilt.
»In der Sache keine Meinungsverschiedenheiten«
Merz sagte auch, dass es aus seiner Sicht in der Frage des Vorgehens Israels in Gaza keine Differenzen mit dem Koalitionspartner SPD gebe. »Es gibt in der Sache keine Meinungsverschiedenheiten darüber in der Koalition. Wir sind uns in diesen Fragen vollkommen einig«, sagte er.
Die Frage, warum sich Deutschland der Initiative von Großbritannien nicht anschließe, beantwortete Merz mit einem Hinweis auf eine bereits zuvor beschlossene Erklärung des Europäischen Rates. Diese sei »praktisch inhaltsgleich (…) mit dem, was in dem Brief jetzt zum Ausdruck kommt«.
Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetović und der frühere Fraktionschef und Außenpolitiker Rolf Mützenich schrieben in einer Erklärung, die der dpa vorliegt und über die die »Süddeutsche Zeitung« zuerst berichtet hatte: »Die Berichte über verhungerte Kinder und eine rapide eskalierende Hungersnot zeigen: Wir haben den viel beschworenen ›point of no return‹ erreicht.«
Hamas kommt Forderung nicht nach
Mit Blick auf Bundeskanzler Merz und Außenminister Wadephul (CDU) fordern die Abgeordneten, bestehende Kooperationen mit Israel wie das Assoziierungsabkommen müssten auf Eis gelegt und weitere Maßnahmen wie der Stopp von Waffenexporten an die israelische Regierung durchgesetzt werden.
Auch Ahmetović und Mützenich drängen zu einer Unterzeichnung des internationalen Appells, den inzwischen 28 Länder und die EU-Kommissarin für Gleichstellung und Krisenmanagement unterschrieben haben.
In der internationalen Erklärung wird immerhin auch eine sofortige Freilassung der noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gefordert. Das Problem: Die Terroristen weigern sich seit 656 Tagen, dieser Forderung nachzukommen. Dies ist der Hauptgrund für die Fortführung des Kampfes gegen den Terror in Gaza. dpa/ja