Analyse

Kleinster gemeinsamer Nenner

Die Parteichefs Söder (CSU), Merz (CDU), Klingbeil und Esken (SPD) stellen den Koalitionsvertrag vor (v.l.). Foto: picture alliance / Jörg Carstensen

Am 6. Mai will sich Friedrich Merz zum Bundeskanzler wählen lassen. Der CDU-Chef braucht dafür die Zustimmung von mindestens 316 Mitgliedern des Bundestags. CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Abgeordnete. Mehr als zwölf Abweichler wären daher fatal.

Wohl auch deswegen kam dem Koalitionsvertrag, auf den sich die künftigen Partner vergangene Woche einigten, eine wichtige Funktion zu. Schon im Vorfeld sollte offener Streit zu grundsätzlichen Fragen, der der Vorgängerregierung zum Verhängnis geworden war, ausgeräumt werden. Ob den Verhandlern das gelungen ist, bleibt abzuwarten.

Viel Politprosa

Wer sich einen Strauß an politischen Reformvorschlägen erhofft hatte, wurde enttäuscht. Auf 144 Seiten findet sich viel Politprosa. Das gilt auch für die Passagen zum Schutz jüdischen Lebens und zur künftigen Israel-Politik der Bundesregierung. Deutschland trage hier »eine besondere Verantwortung«, vermerkt das Papier lapidar.

Was damit gemeint ist, wird nur an wenigen Stellen ausbuchstabiert. Zwar heißt es: »Wir fördern die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland und stellen sicher, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen.« Das Papier verrät aber nicht, ob die vor allem im Kultursektor umstrittene IHRA-Arbeitsdefinition zum Antisemitismus angewendet werden soll, um zu überprüfen, ob die Empfänger staatlicher Zuschüsse tatsächlich das Existenzrecht Israels anerkennen.

Blass wirken auch Sätze wie »Die Sicherheit jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger muss im digitalen wie im öffentlichen Raum, auch an unseren Schulen und Hochschulen gewährleistet sein«. Und »Schulen sollen von Antisemitismusforschung stärker profitieren, und Lehrkräfte sollen befähigt werden, Antisemitismus zu erkennen und dagegen vorzugehen«. Wie genau jüdische Studierende künftig besser geschützt und welche Veränderungen der staatlichen Förderpraxis vorgenommen werden sollen, wird nicht aufgeschlüsselt.

Holocaust-Gedenkstätten

Die künftige Bundesregierung will auch die Arbeit der Holocaust-Gedenkstätten stärken. In Deutschland soll bald ein staatlich gefördertes »Yad Vashem Education Center« eingerichtet werden. Mehr als 80 Jahre nach dem Ende der Schoa planen die Koalitionäre nun ein Restitutionsgesetz für von den Nazis geraubte Kunst- und Kulturgüter – eine seit Langem bestehende Forderung jüdischer Organisationen. Was genau damit bewerkstelligt werden und ob das Gesetz auch Raubkunst im Privatbesitz umfassen soll, bleibt unklar.

An manchen Stellen fällt die Vereinbarung hinter die der Ampel-Koalition von 2021 zurück.

Auch an anderen Stellen klingt der Koalitionsvertrag nach kleinstem gemeinsamen Nenner. Viele der zwischen den drei Parteien strittigen Punkte wurden am Ende einfach ausgeklammert. Aus dem Wahlprogramm der Union vom Januar, das dem Kampf gegen Antisemitismus unter der Überschrift »Nie wieder ist jetzt« gleich ein ganzes Kapitel widmete und zahlreiche konkrete Vorschläge machte, hat es nur wenig ins Regierungsprogramm geschafft.

Immerhin ist eine Verschärfung des Strafrechts vorgesehen: »Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.« In Betracht gezogen werden sollen auch besondere Strafen für Amtsträger, die »antisemitische und extremistische Hetze in geschlossenen Chatgruppen teilen«.

Deutsch-Israelisches Jugendwerk

Oft bekräftigt der Koalitionsvertrag längst Beschlossenes. So heißt es: »Ein Bundesprogramm gegen Extremismus und Antisemitismus im Sport wird fortgeführt. Wir unterstützen weiterhin die erfolgreiche Arbeit von Makkabi Deutschland.« Zur Zukunft der Arbeit des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben, Felix Klein, schweigt er aber. Und zur Schaffung eines Deutsch-Israelischen Jugendwerks, das bereits von den Ampelparteien vereinbart und dann nicht umgesetzt wurde, liest man nichts.

Auch an anderer Stelle fällt die Regierungsvereinbarung sogar hinter den 2021 unterzeichneten Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP zurück. Hieß es damals noch, man wolle sich »gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels« in UN-Gremien starkmachen, fällt nun kein kritisches Wort mehr zum Agieren der Weltorganisation: »Die Vereinten Nationen bleiben das Rückgrat der regelbasierten internationalen Ordnung«, heißt es lediglich.

Ebenfalls vage bleiben die Passagen zur deutschen Nahostpolitik. Zwar wird der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 pflichtschuldig verurteilt und ein Bekenntnis abgelegt, dass Deutschland Israel »bei der Gewährleistung der eigenen Sicherheit« auch künftig unterstützen werde. Doch zur heiß diskutierten Frage deutscher Rüstungsexporte an Israel schweigt das Papier mit dem Titel »Verantwortung für Deutschland«.

Erneut wird eine »zu verhandelnde Zweistaatenlösung« eingefordert. Was die Bundesregierung dafür tun will, erfährt man aber nicht. Auch ein anderer Satz klingt eher wie ein Formelkompromiss: »Den Umfang unserer zukünftigen Unterstützung des VN-Hilfswerks UNRWA machen wir von umfassenden Reformen abhängig.« Schon im Koalitionsvertrag 2021 wurden genau solche »Reformen« angemahnt. Passiert ist seitdem wenig.

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