Polen

Keine Antisemiten?

Szene aus »Unsere Mütter, unsere Väter«: Viktor wird von den Partisanen als Jude »enttarnt«. Foto: David Slama / ZDF

Die Aufregung über den ZDF-Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter ist in Polen bis heute nicht abgeklungen. Der Film, so der Vorwurf, verfälsche die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, indem er polnische Partisanen und Bauern als Antisemiten brandmarke.

Die Meldungen über Auszeichnungen und Erfolge des Spielfilms im Ausland veranlassten nun ehemalige Widerstandskämpfer der polnischen Heimatarmee AK, Zivilklage gegen den Produzenten und das ZDF zu erheben. Gerichtsstand ist das südpolnische Krakau.

entschuldigung »Die Kläger wollen erreichen, dass in allen 60 Ländern, in denen der Film gezeigt wurde oder noch zu sehen sein wird, zusätzlich eine Entschuldigung der Beklagten bei den AK-Veteranen ausgestrahlt wird sowie das Bekenntnis, dass die allein Schuldigen am Holocaust die Deutschen sind«, erklärt Monika Brzozowska, die Anwältin der AK-Kämpfer. Zusätzlich fordern die Kläger eine symbolische Wiedergutmachung in Höhe von umgerechnet 12.000 Euro, sowie die Entfernung der rotweißen AK-Symbole aus dem Film.

Die knapp sechsstündige TV-Serie zeigt den Zweiten Weltkrieg aus der Sicht von fünf Berliner Freunden, zwei jungen Wehrmachtssoldaten, einer Lazarettschwester, einer Schauspielerin und eines von der Deportation bedrohten jüdischen Maßschneiders. Alle machen eine Wandlung durch, der durchgeistigte Bücherwurm und Idealist wird zur seelenlosen Mordmaschine, die gewissenhafte Lazarettschwester verrät eine jüdisch-ukrainische Ärztin, die Schauspielerin lässt sich für ihre Karriere auf eine Affäre mit einem hohen Nazi ein.

antisemiten Doch die Kläger nehmen besonderen Anstoß an Szenen, in denen Viktor Goldstein (gespielt von Ludwig Trepte) sich auf der Flucht einer polnischen Partisaneneinheit der AK anschließt und immer wieder auf massiven Antisemitismus trifft. Etwa, wenn die AK-Kämpfer einen Zug mit jüdischen Gefangenen in der brütenden Sonne stehen lassen wollen, ohne die Türen zu öffnen. Oder wenn Bauern den Partisanen nur dann Essen verkaufen wollen, wenn sich bei ihnen keine Juden befinden. Denn die seien »genauso schlimm wie die Kommunisten und Russen«.

Im Film gibt es durchaus auch gute Charaktere unter den Partisanen und Bauern: Alina, die ehemalige Zwangsarbeiterin, die gemeinsam mit Viktor aus dem Zug nach Auschwitz fliehen kann, sich mit ihm den AK-Kämpfern anschließt und ihn dort wochenlang beschützt. Der AK-Kommandant, der »den Juden« erschießen soll, dies aber nicht tut, sondern Viktor sogar noch seine Waffe gibt und ihm wünscht, dass er den Krieg überleben möge.

Doch die polnischen Veteranen sind der Ansicht, dass der Film den AK-Soldaten eine Mitschuld am Holocaust im besetzten Polen gibt, während die Deutschen als Opfer dargestellt würden. Der Film verletze, so Anwältin Brzozowska, »das Recht der Kläger auf den nationalen Stolz, das Recht auf die Pflege der eigenen nationalen Kultur, das Recht auf ein wahrheitsgemäßes Geschichtsbild sowie die Würde und das Recht auf die Ehrung der verstorbenen Soldaten der Heimatarmee«.

prüfung Noch ist nichts entschieden. Die Richterin Anna Rakoczy muss die am 19. November eingereichte Klageschrift zunächst prüfen. Erst wenn sie ihr Placet gibt, werden das ZDF und Filmproduzent Nico Hofmann darüber informiert, ob das Verfahren eingeleitet wird.

Die Proteste in Polen dauern schon länger an. Kurz nach der Erstausstrahlung in Deutschland sah sich das ZDF gezwungen, einen zusätzlichen Dokumentarfilm über die Nazibesatzung in Polen und den polnischen Widerstand auszustrahlen. Produzent Nico Hofmann bekannte in der Tageszeitung Polska The Times, es sei ein Fehler gewesen, keine polnischen Historiker hinzugezogen zu haben.

Heute, nach der für ihn schmerzlichen Kritik, würde Hofmann die polnischen Szenen des Spielfilms anders drehen: »Dramaturgisch gesehen interessierte uns am meisten, wie ein deutscher Jude im nazibesetzten Polen überleben konnte. So kam es zur Häufung polnisch-antisemitischer Szenen, die pars pro toto so interpretiert wurden, als wollte ich alle Polen in diesem Licht zeigen.«

Es sei ihm nicht darum gegangen, die Schuld der Deutschen an Holocaust und Krieg auch nur teilweise abzuwälzen. In Deutschland sei dieser Aspekt, der in Polen für so große Aufregung gesorgt habe, auch gar nicht diskutiert worden. »Es tut mir leid«, so Nico Hofmann zu Polska The Times, »dass ich durch den Film Unsere Mütter, unsere Väter viele Menschen in Polen verletzt habe.«

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen säkularen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025