Antisemitismus

»Juden müssen täglich abwägen«

Daniel Poensgen Foto: Sandra Rokahr

Herr Poensgen, Sie haben in einer groß angelegten Studie 150 Jüdinnen und Juden in Deutschland zu ihrer Wahrnehmung von Antisemitismus befragt. Mit welchem Ergebnis?
Wir haben zwischen 2017 und 2020 in sieben Bundesländern Befragungen durchgeführt. Die Studie zeigt: Jüdinnen und Juden haben zum Teil ganz andere Wahrnehmungen von Antisemitismus als die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft. Antisemitismus ist für sie ein alltagsprägendes Phänomen.

Wo zeigt sich der Judenhass?
Überall im Alltag, zum Teil auch in sehr sensiblen Situationen. Die Befragten berichten von antisemitischen Vorfällen beim Zahnarzt, bei der Abschlussfeier an der Schule oder der Wohnungssuche. Es ist nicht immer ein offener Antisemitismus. Es sind auch Entsolidarisierungen. Eine Person sagte uns: »Man hat das Gefühl, die Pest zu haben, ohne dass man etwas dagegen tun kann.«

Von wem gehen die Anfeindungen aus?
Ein Interviewpartner antwortete auf diese Frage: »Von wem nicht?« Antisemitismus wurde als gesamtgesellschaftliches Problem beschrieben. Es wurden aber auch konkrete Gruppen benannt: Am häufigsten sind es rechtsextreme, aber auch islamische und islamistische Milieus.

Wie gehen Juden hierzulande damit um?
Die Umgangsweisen sind vielfältig und von der Situation abhängig. Eine Person erzählte uns, dass sie sich immer wehrt, wenn sie antisemitisch beleidigt wird. Aber nicht, wenn ihre Kinder dabei sind, aus Angst, vor ihnen angegriffen zu werden. Viele gehen in die Konfrontation, andere wiederum vermeiden, als Juden erkannt zu werden.

Antisemitismus führt laut Ihrer Studie auch zu Konflikten unter Juden. Inwiefern?
Jüdinnen und Juden müssen tagtäglich zwischen dem Bekenntnis zu ihrer jüdischen Identität und einem Verhalten abwägen, welches das Risiko antisemitischer Vorfälle minimiert. Das kann zu Konflikten führen. Eine Person berichtete, dass ihr Kind mit einem Davidsternaufnäher in die Stadt wollte. Sie fand das zu gefährlich, das Kind sagte daraufhin: »Wenn ich hier nicht sein darf wie ich bin, dann will ich hier nicht sein.«

In Ihrem Bericht steht außerdem, dass Juden von dem Terroranschlag in Halle weniger überrascht waren. Sie hatten mit derartiger Gewalt gerechnet. Was schlussfolgern Sie daraus?
Die Mehrheitsgesellschaft muss jüdische Perspektiven ernst nehmen, besonders in Sicherheitsfragen. Ihre Perspektiven müssen zudem systematisch erforscht werden, wie es seit einigen Jahren zum Glück geschieht. Wir versuchen, als zivilgesellschaftliche Akteure den jüdischen Blick auf antisemitische Vorfälle stärker in die politische Debatte zu tragen. Den Weg müssen wir weitergehen.

Das Interview mit dem Sozialwissenschaftler und Referenten der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) führte Lilly Wolter.

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 26.11.2025

Urteil

Verbot des Berliner Palästina-Kongresses war rechtswidrig

Das Berliner Verwaltungsgericht hat das Verbot eines Palästina-Kongresses nachträglich für rechtswidrig erklärt

 26.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Wehrpflicht

Freiheit gemeinsam verteidigen

Russlands Angriffskrieg unterstreicht die Notwendigkeit einer starken Bundeswehr. Wenn die Situation es erfordert, dann müssen auch wir Juden bereit sein, unseren Beitrag zu leisten

von Josef Schuster  26.11.2025

Verhandlung

Verbot israelfeindlicher Proteste: Berlin mit Klagen konfrontiert

Das Verwaltungsgericht prüft zwei unterschiedlich gelagerte Klagen von Veranstaltern einer Demonstration im Dezember 2023 und des sogenannten Palästina-Kongresses im April 2024

 26.11.2025

Potsdam

BSW vor Zerreißprobe: Dorst stellt Parteiverbleib infrage

Die jüngsten Ereignisse haben Implikationen für die Landesregierung. Bei nur zwei Stimmen Mehrheit im Landtag könnte jeder Bruch in der BSW-Fraktion ihr Ende bedeuten

 26.11.2025

Buenos Aires

Milei will 2026 Botschaft in Jerusalem eröffnen

Israels Außenminister Sa’ar erklärte in der argentinischen Hauptstadt, »im April oder Mai« werde die Eröffnung erfolgen

 26.11.2025

Montréal

Air Canada prüft Beschwerde über Palästina-Anstecker in der Form Israels

Der Passagier Israel Ellis beschwert sich über das israelfeindliche Symbol an der Jacke einer Stewardess. Sie habe ihn zudem angeschrien, als sie seine Davidstern-Kette gesehen habe

 26.11.2025

Berlin

Friedrich Merz besucht Israel

Als Kanzler ist es sein erster Aufenthalt im jüdischen Staat. Die Beziehungen hatten zuletzt unter Druck gestanden

 25.11.2025