Am Jahrestag des Brandanschlags

Neonazis marschieren vor Ulmer Synagoge auf

Die Synagoge in Ulm Foto: imago images / Arnulf Hettrich

Wie erst jetzt bekannt wurde, sind am Sonntagabend mehrere Personen vor die Ulmer Synagoge gezogen und haben dort Banner mit neonazistischen Symbolen gezeigt. Das Datum dürfte kein Zufall gewesen sein: Denn am 5. Juni jährte sich der Brandanschlag auf die Synagoge zum ersten Mal. Damals hatte ein türkischer Staatsbürger versucht, das Gebäude der Jüdischen Gemeinde Ulm anzuzünden.

Über den aktuellen Vorfall sprach die Jüdische Allgemeine mit dem Rabbiner der Ulmer Gemeinde, Shneur Trebnik. Er habe erst Stunden nach dem Ereignis davon gehört, so der Rabbiner. Nachbarn der Synagoge hatten ihn kontaktiert. Auf den Videoaufnahmen der Synagoge habe er später das Geschehene rekonstruieren können: Vier vermummte Personen waren gegen 19 Uhr abends auf den Hof vor der Synagoge gekommen. Dort stellten sie sich mit zwei Bannern auf und machten Fotos von sich.

Rechtsextremismus Der Online-Blog »Rechte Umtriebe Ulm« hatte zuerst über den Vorgang berichtet. Demnach war auf einem der Banner eine schwarze Sonne zu sehen, ein Symbol, das während des Nationalsozialismus von der SS benutzt wurde und heute in der rechtsextremen Szene als Erkennungszeichen gilt. Strafbar ist seine Verwendung jedoch nicht. Auf dem anderen Banner waren unter anderem die Begriffe »White Genocide« und »Great Replacement« zu lesen, beides Konzepte aus dem rechten verschwörungstheoretischen Milieu.

Die Symbolik weise »auf eine verfestigte, antisemitische Mythologie hin«, sagt Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter des Landes Baden-Württemberg

Diese Symbolik weise »auf eine verfestigte, antisemitische Mythologie hin«, sagte Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter des Landes Baden-Württemberg, dieser Zeitung. »Ich werte den Vorfall vor der Synagoge zu Ulm am Jahrestag des Brandanschlags als eine gezielte Terror-Tat«, so Blume. »Wenn wir diese Radikalisierung nicht stoppen, steigt die Gefahr von Gewalttaten.«

Offenbar griffen am Samstag Ulmer Bürger ein, riefen die Polizei und konfrontierten die vier Personen, die daraufhin den Platz vor der Synagoge wieder verließen. Insgesamt dauerte die Aktion nur wenige Minuten. Ein Sprecher der Polizei Ulm bestätigte gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, dass sie über den Vorgang in Kenntnis gesetzt wurden. Es ermittle nun die Kriminalpolizei. Bisher seien keine Täter identifiziert worden und eine Verbindung zu dem vorjährigen Brandanschlag werde noch geprüft.

Brandanschlag Vor genau einem Jahr hatte ein Mann mit türkischer Staatsbürgerschaft an einem Samstagmorgen eine brennbare Flüssigkeit auf den Boden vor der Synagoge gegossen und angezündet. Die Feuerwehr konnte den Brand schnell löschen und es wurde niemand verletzt. Der Mann konnte bald identifiziert werden, doch die Polizei ist seiner bis heute nicht habhaft geworden. Der mutmaßliche Täter hatte sich in die Türkei abgesetzt.

Rabbiner Shneur Trebnik: »Wer von solchen Sachen überrascht ist, ist etwas naiv.«

Damals gab es gegenüber der jüdischen Gemeinde Ulm viele Solidaritätsbekundungen. Etwa 150 Menschen versammelten sich nach dem Anschlag vor der Synagoge für einen Protest gegen Antisemitismus. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte, der »niederträchtige Anschlag« zeige »das heimtückische Gesicht des Antisemitismus, dem wir klar und deutlich entgegentreten«.

Auch jetzt hätten sich wieder viele besorgte Menschen bei ihm gemeldet und ihre Solidarität bekundet, berichtet Rabbiner Trebnik. Was genau es mit dem neuesten Vorfall vor seiner Synagoge auf sich habe, darüber wolle er nicht spekulieren. Wirklich unerwartet sei dieser für ihn aber nicht gewesen. »Wer von solchen Sachen überrascht ist, ist etwas naiv«, sagt der Rabbiner.

Interview

»Die Genozid-Rhetorik hat eine unglaubliche Sprengkraft«

Der Terrorismusforscher Peter Neumann über die Bedrohungslage für Juden nach dem Massaker von Sydney und die potenziellen Auswirkungen extremer Israel-Kritik

von Michael Thaidigsmann  16.12.2025

Wirtschaft

Hightech-Land Israel: Reiche sieht Potenzial für Kooperation

Deutschland hat eine starke Industrie, Israel viele junge Start-ups. Wie lassen sich beide Seiten noch besser zusammenbringen? Darum geht es bei der Reise der Bundeswirtschaftsministerin

 16.12.2025

Meinung

Der Stolz der australischen Juden ist ungebrochen

Der Terroranschlag von Sydney hat die jüdische Gemeinschaft des Landes erschüttert, aber resigniert oder verbittert ist sie nicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung künftig mehr für ihren Schutz tut

von Daniel Botmann  16.12.2025

IS-Gruppen

Attentäter von Sydney sollen auf den Philippinen trainiert worden sein

Die Hintergründe

 16.12.2025

Hamburg

Mutmaßlicher Entführer: Mussten im Block-Hotel nichts zahlen

Der israelische Chef einer Sicherheitsfirma, der die Entführung der Block-Kinder organisiert haben soll, sagt im Gericht aus. Die Richterin will wissen: Wer zahlte für die Unterbringung im Luxushotel der Familie?

 16.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Anschlag geplant? 21-Jähriger reiste legal ein

Mit einem Visum kam er nach Deutschland, dann informierte er sich über Waffen und glorifizierte Anschläge. Zu dem in Vorbereitungshaft genommenen Mann werden Details bekannt

 16.12.2025

Sydney

Jüdisches Ehepaar stirbt beim Versuch, einen der Angreifer zu stoppen

Boris und Sofia Gurman versuchten, das Massaker vom Bondi Beach zu verhindern, und bezahlten dafür mit ihrem Leben

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025