Gerechtigkeit

Jäger des verlorenen Rechts

Sein Name ist Garzón, Baltasar Garzón. Er hat die Lizenz zum Richten. Seine Waffe sind die Worte des Gesetzes. Die Täter – Mörder, Despoten, Folterknechte und all die anderen Menschenverachter – fürchten ihn. Denn der 55-jährige Spanier scheut weder Kritik noch Widerstand, wenn es gilt, dem Recht zu seinem Recht zu verhelfen. Und das heißt konkret, Verbrechen wie Völkermord zu ahnden. Einerlei, wo auf der Welt sie begangen werden. Die Opfer von Menschenrechtsverletzungen – Gefolterte, Verschleppte, Geschändete – wiederum verehren Baltasar Garzón. Ist er es doch, der ihnen die Genugtuung verschafft, dass Strafverfolgung nicht an geografischen und zeitlichen Grenzen scheitern muss. Der Untersuchungsrichter lässt den Menschen Gerechtigkeit widerfahren und avancierte so in den vergangenen Jahren zu einer Art Popstar der internationalen Juristenszene. Sein spektakulärster Coup: die Festnahme des chilenischen Diktators Augusto Pinochet in London.

Straflos Am Sonntagmittag steht der grauhaarige Jäger des verlorenen Rechts auf der Bühne des altehrwürdigen Berliner Renaissancetheaters. Die Hände vor dem Körper gefaltet, nimmt er mild lächelnd den Beifall des Publikums entgegen. 90 Minuten lang hat Garzón zuvor auf Einladung der Berliner Festspiele und der ZEIT-Stiftung seinen Zuhörern mit weit ausgreifenden Gesten eine spannende Lektion über prinzipientreue Standfestigkeit erteilt. Denn der Jurist ist überzeugt davon, dass es einen durchsetzbaren Anspruch der universellen Justiz gegen nationale Straflosigkeit gibt. Im Klartext: Wahrheit, Gerechtigkeit und bestenfalls auch Wiedergutmachung müssen Aufgabe einer internationalen Gerichtsbarkeit sein. Rechtsverletzungen wie Genozide (zum Beispiel in Ruanda) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (etwa in Argentinien während der Militärdiktatur) seien nun mal Delikte gegen die Völkergemeinschaft. »Und deshalb gibt es eine Pflicht, diese zu untersuchen.« Schließlich habe man sich mithilfe von Konventionen und Vereinbarungen auf entsprechende Normen verständigt. Also dürften Herkunft und nationale Zugehörigkeit der Opfer keine Rolle spielen. Den Anspruch, die an den Wehrlosen verübten Verbrechen zu ahnden, hält Garzón für ebenso universell wie eine Justiz, die dieser Aufgabe gerecht zu werden hat. Denn immer noch kommen die Täter gerade im eigenen Land allzu oft ungeschoren davon. Diese Gerechtigkeits-Lücke müssen dann Institutionen wie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag schließen. Ein schwieriges Unterfangen.

Amnestie Denn in der Regel ist das Verhältnis zwischen Recht und Macht, zwischen Legalität und Legitimität ein schwieriges. Recht braucht Macht, sonst lässt es sich kaum durchsetzen. Macht kann aber nach Auffassung der Herrschenden durchaus ohne Recht auskommen, ja, sie scheuen geradezu diese Art der unabhängigen Kontrolle. »Eine ewige Auseinandersetzung«, sagt Garzón. Deshalb sind Schlussstrich- und Amnestiegesetze zumeist die Regel, wenn es darum geht, der Gerechtigkeit ein juristisches Schnippchen zu schlagen.

Baltasar Garzón weiß das aus eigener Erfahrung. Er droht inzwischen sogar selbst zu einem Justizopfer zu werden – wohl aus politischen Gründen. Pikanterweise versuchen rechtsgerichtete Kräfte in seiner spanischen Heimat, den unbequemen Richter in die Schranken zu weisen. Weil er es gewagt hat, im wahrsten Sinne des Wortes in der Franco-Vergangenheit zu graben. Sein Ziel: Die massenhaft verübten Morde aufklären, um einen würdigen Umgang mit den Opfern des spanischen Bürgerkrieges und des Caudillo-Regimes in der Nachkriegszeit zu ermöglichen.

Angeklagt Doch als Garzón daran ging, die Gräber zu untersuchen und die Toten zu exhumieren, wurde ein Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen ihn angestrengt. Er habe, so der Vorwurf, das geltende Amnestiegesetz missachtet. Mittlerweile ist der Richter sogar suspendiert worden. Vorerst, wie es heißt. Der Ankläger als Angeklagter – auch das gehört zur Realität, wenn man im eigenen Land den Anspruch einer universellen Justiz durchsetzen will.

Das Publikum im Renaissancetheater will sich diesen Vorwürfen nicht anschließen. Ebenso wenig wie den Kommentaren seiner zahlreichen Gegner innerhalb und außerhalb Spaniens, die Baltasar Garzón krankhaftes Geltungsbedürfnis und blinden Fanatismus vorwerfen. Im Gegenteil: Die Zuhörer im Saal feiern ihn, den eloquenten, so charmant daherkommenden Unbeirrbaren. Und behält Justitia nicht ohnehin häufig die Oberhand, selbst wenn die Lage zunächst aussichtslos scheint? Zum Beispiel im Fall von Augusto Pinochet. Der Großverbrecher starb am 10. Dezember 2006 – dem Internationalen Tag der Menschenrechte.

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025