Berlin

»Im Diskriminierungsfall haftet das Land Berlin«

Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) Foto: dpa

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»Im Diskriminierungsfall haftet das Land Berlin«

Fünf Minuten mit Dirk Behrendt über Antisemitismus, Rassismus und das neue Antidiskriminierungsgesetz

von Maria Ugoljew  18.06.2020 10:46 Uhr

Herr Behrendt, Anfang Juni verabschiedete der Senat das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG). Inwiefern ist dieses neue Gesetz ein Meilenstein?
Mit dem Landes-Antidiskriminierungsgesetz stärken und verteidigen wir Respekt, Vielfalt und Freiheit in unserer Stadt. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten mit dem LADG ein Instrument, mit dem sie die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote effektiv durchsetzen können. Das in unserer Verfassung verankerte Diskriminierungsverbot wird mit diesem Gesetz in der Praxis anwendbar.

Welche Instrumente gab es bislang – und was ist an diesem anders?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, verbietet seit 2006 Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und im Zivilrechtsverkehr und gewährt dort Schadenersatzansprüche. Ein Beispiel aus der Berliner Rechtsprechung ist der Vermieter, der im Haus nur bei türkischstämmigen Mietern die Miete erhöht. Oder die Taxifahrerin, die keine Schwarzen befördern möchte. Das LADG schließt nun auf Landesebene die Schutzlücken bei Diskriminierungen durch hoheitliches Handeln und gibt den Betroffenen Ansprüche auf Schadenersatz und Entschädigung. Also beispielsweise in der Schule, bei der Polizei oder im Bürgeramt. Darüber hinaus schafft das LADG die Möglichkeit einer Verbandsklage, die es im AGG so nicht gibt.

Im Falle einer antisemitischen Diskriminierung – wie läuft das konkret ab?
Die Diskriminierung aufgrund antisemitischer Zuschreibungen ist im LADG erstmals ausdrücklich erwähnt. Wenn Sie also aufgrund einer antisemitischen Zuschreibung von einer staatlichen Stelle benachteiligt werden, bietet das LADG die Möglichkeit, vom Land Berlin Schadenersatz oder eine Entschädigung zu fordern. Sie können sich dann direkt an die jeweilige Behörde wenden, an einen Antidiskriminierungsverband oder an die unabhängige Ombudsstelle, die wir gerade einrichten.

Wie lange wurde an dem LADG gearbeitet?
Wenn Sie mich fragen: viel zu lange. Erste Ideen zu einem Antidiskriminierungsgesetz gab es bereits 2007. Mit dem LADG werden insbesondere die Vorgaben der europäischen Antirassismus-Richtlinie aus dem Jahr 2000 umgesetzt. Aber es zeigt auch, dass es sich lohnt, dranzubleiben und für Antidiskriminierung zu kämpfen. Ich bin mir sicher, dass wir in den kommenden Jahren Landes-Antidiskriminierungsgesetze in vielen Bundesländern sehen werden.

Welche zivilgesellschaftlichen Organisationen haben sich an dem Entwicklungsprozess beteiligt, und welche Rolle spielten sie?
Das LADG war von Beginn an ein Projekt, in dem Wissenschaft, Zivilgesellschaft und die öffentliche Verwaltung gemeinsam gearbeitet haben. Wir haben 79 Verbände und Fachkreise um eine Stellungnahme gebeten – darunter auch die Jüdische Gemeinde –, bevor der Gesetzentwurf vom Senat beschlossen und ins Parlament eingebracht wurde.

Kritiker behaupten, das Gesetz würde vor allem Polizisten unter den Misstrauensverdacht der Ungleichbehandlung stellen. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?
Die Kritik entfernt sich in den vergangenen Tagen leider immer weiter vom Inhalt des Gesetzes. Gerade die großen Polizeigewerkschaften sorgen so für Verunsicherung bei ihren Kolleginnen und Kollegen. Das LADG sieht keine individuelle Haftung von Beamten vor. Im Diskriminierungsfall haftet das Land Berlin. Das LADG sieht auch keine Beweislastumkehr vor, sondern eine Beweiserleichterung, die es im AGG bereits seit 2006 gibt. Und Racial Profiling war auch schon vor dem LADG verboten. Neu ist jetzt aber, dass Opfer von staatlicher Diskriminierung mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dagegen vorgehen können.

Mit dem Berliner Justizsenator sprach Maria Ugoljew.

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