Meinung

Hört auf, Israel zu dämonisieren!

Swing-Musiker und Pianist Andrej Hermlin Foto: dpa

Vor drei Wochen verabschiedete die Partei Die Linke eine Resolution, die Israel gezielte Tötungen und systematische Massaker im Gazastreifen vorwirft. Verantwortlich für das Blutvergießen sei nicht das versuchte Stürmen der Grenze durch bewaffnete Hamas-Aktivisten, sondern das israelische Militär.

Der Berliner Jazzmusiker Andrej Hermlin, langjähriges Linke-Mitglied, sieht in der Resolution eine »feige Spielart des linken Antisemitismus«. Israel werde einseitig an den Pranger gestellt, zur Terrororganisation Hamas verliere der Parteivorstand hingegen kein Wort. In einem offenen Brief an die Parteiführung kritisierte Hermlin den Linken-Beschluss zur Lage in Israel und im Gazastreifen – und drohte mit dem Austritt aus der Partei. Geantwortet hat ihm die Parteiführung noch nicht. Die Jüdische Allgemeine dokumentiert Andrej Hermlins offenen Brief.

»Von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt hat es der Vorstand der Linken vor wenigen Tagen für nötig erachtet, eine Resolution zu verabschieden, die sich mit Israel und der Situation im Gazastreifen befasst.

Die Einseitigkeit dieser Deklaration ist Teil einer deprimierenden Tendenz bestimmter sich selbst als links betrachtender Akteure in Deutschland. Diese erklären – in einer groben Vereinfachung der tatsächlichen Verhältnisse – die Araber zu Unterdrückten und die Juden zu deren Unterdrückern. Sie machen sich gar nicht erst die Mühe, nach den tieferen Ursachen dieses lang andauernden Konflikts zu fragen, denn sie haben ihre seit Jahrzehnten erprobten Antworten schon parat.

Hamas In der Erklärung des Parteivorstandes, die – wie zu hören ist – bei nur wenigen Gegenstimmen verabschiedet wurde, findet sich kein Wort zum rasenden Hass der Hamas und ihrer Sympathisanten auf Israel und alles Jüdische.

Die im Winde wehenden Hakenkreuzfahnen in Gaza werden ebenso wenig erwähnt wie die von Ballons getragenen Brandbomben und die Aufrufe, so viele Juden wie nur irgend möglich zu töten. Der von der Hamas organisierte «Große Rückkehrmarsch» wird in der Erklärung des Parteivorstandes wider besseres Wissen zu einer «weithin friedlichen Demonstration».

In den vergangenen Wochen wurden in Kamerun dutzende Ortschaften von Milizen niedergebrannt und ihre Bewohner vergewaltigt, gequält und zu Hunderten ermordet. Im Kongo ereignen sich gegenwärtig Grausamkeiten von schier apokalyptischem Ausmaß, es sind Verbrechen, deren detaillierte Beschreibung an dieser Stelle kaum möglich ist.

Antisemitismus Kein besorgtes deutsches Herz regt sich, auch kein linkes. Weder sind scharf formulierte Verlautbarungen irgendwelcher Parteivorstände zu vernehmen, noch ziehen wütende Demonstrationen durch die Straßen deutscher Städte.

Doch ist von Israel die Rede, schlagen die Wellen der Empörung hierzulande hoch. Ich habe vor Jahren schon gefragt: «Woher diese Emotion?» Ich habe nie eine Antwort erhalten, obwohl unsere Lippen schon lautlos das Wort formen, das Wort, das mit A beginnt.

Auch die Autoren und Unterzeichner des Beschlusses des Parteivorstandes werden meine Frage natürlich nicht beantworten. Sie haben Angst, denn sie zu beantworten, hieße, in die dunkelsten Winkel der eigenen Seele vorzudringen, und die Furcht ist groß vor dem, was man dort vorfinden könnte.

Grenzen Mein Vater war Jude und Kommunist. Ich liebe ihn über alles, er war und ist mein Vorbild. Ich bin es ihm schuldig, meine Stimme zu erheben – ihm und nicht zuletzt mir selbst. Es ist fast 30 Jahre her, dass ich dieser Partei beitrat. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was Vorstände verabschieden oder Mitglieder dieser Partei veröffentlichen.

Aber es gibt Grenzen. Es sind dies meine eigenen, selbst gezogenen Grenzen. Ich würde meine Ehre verlieren, wenn ich diese Grenzen um des falschen Friedens willen zu missachten begänne.

Ich erwarte eine Stellungnahme der Führung unserer Partei. Man kann diesem Streit nicht immer wieder aufs Neue ausweichen. Ein Bekenntnis ist dringend nötig in Zeiten wie diesen. Vom Gehalt eines solchen Bekenntnisses mache ich meinen Verbleib in der Partei abhängig.«

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Deutschland

Massive Proteste gegen neuen AfD-Nachwuchs 

Die AfD organisiert ihren Nachwuchs - Gießen erlebt den Ausnahmezustand. Zehntausende haben sich nach Mittelhessen aufgemacht, um die Gründung der Generation Deutschland zu verhindern

von Christian Schultz  30.11.2025

Rechtsextremismus

Fragezeichen nach skurriler Rede bei AfD-Jugendkongress 

Wer steckt hinter dem mysteriösen Auftritt des Mannes, der mit einer Rede im Hitler-Stil den Gründungskongress der AfD-Jugend aufmischte? Ihm droht der Parteiausschluss

von Jörg Ratzsch  30.11.2025

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 01.12.2025 Aktualisiert

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  29.11.2025