Meinung

Harald Martenstein und die »Judensterne« bei Corona-Demos

Kolumnist Harald Martenstein Foto: dpa

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Harald Martenstein und die »Judensterne« bei Corona-Demos

Eine Replik auf die viel diskutierte aktuelle Kolumne des »Tagesspiegel«-Autors

von Ralf Balke  09.02.2022 14:39 Uhr

Erinnert sich noch jemand an das wunderbare Cover des Satire-Magazins »Titanic« aus dem Juli 2002? Zu sehen war ein offensichtlich gut gelaunter Adolf Hitler. Darunter konnte man lesen »Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?«.

Im Fall des deutschen Diktators würde Harald Martenstein gewiss zustimmen, dass es einige Gründe gibt, ihn einen veritablen Antisemiten zu nennen – oder ihn zumindest als jemanden zu bezeichnen, der es mit Juden nicht sonderlich gut meinte. Kurzum, der »schreckliche Verdacht« hätte durchaus seine Berechtigung.

Bei den Teilnehmern sogenannter Corona-Demos, die gerne mit einem »Judenstern«, der die Aufschrift »Ungeimpft« trägt, durch die Straßen deutscher Städte ziehen, sei das aber völlig anders gelagert, so der Kolumnist am Sonntag im Berliner »Tagesspiegel«. Denn wer dieses Symbol für seine politische Agenda benutzt, mag zwar anmaßend oder verharmlosend agieren. Aber eines wäre er gewiss nicht: und zwar antisemitisch.

begründung »Die Träger identifizieren sich ja mit den verfolgten Juden«, so seine Begründung. Nun gut, könnte man sagen. Dann ist ja alles in Ordnung – unabhängig davon, dass sich auf diesen Veranstaltungen zahlreiche Neonazis, Reichsbürger und ähnliche unangenehme Zeitgenossen tummeln, zu denen die Teilnehmer solcher Corona-Demos ein eher inkludierendes Verhältnis haben.

Folgt man aber der Logik eines Martenstein weiter, dann ließe sich ferner behaupten, dass die Demonstranten ein »Nie wieder!« womöglich nur etwas falsch verstanden haben und auf unkonventionelle Weise ihre Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes zeigen wollen. Und vielleicht ist es ebenso irrelevant, dass der »Ungeimpft-Judenstern«-Aufnäher im Online-Shop des Rechtsextremisten Sven Liebich zu haben ist. Schließlich kann man ihn auch woanders kaufen. Oder gleich selbst nähen.

Offensichtlich gehört Martenstein genau zu den Personen, die keinen Begriff mehr vom Antisemitismus haben oder haben wollen und im postmodernen Nebel irrlichtern.

Also alles halb so wild? Nein, offensichtlich gehört Martenstein genau zu den Personen, die keinen Begriff mehr vom Antisemitismus haben oder haben wollen und im postmodernen Nebel irrlichtern. Die Schoa ist dann einfach nur ein Ereignis unter vielen, bei dem irgendwelche Menschen anderen Menschen etwas Böses angetan haben, weswegen alles mit allem vergleichbar sein darf und historischer Kontext sowie Fakten lästiges Beiwerk sind.

verquere logik Es waren die Nazis, die Juden dazu zwangen, den gelben Stern zu tragen, und nicht die Juden, die sich aus Protest gegen die Politik der Nazis den Aufnäher zulegten, damit beginnt bereits die verquere Logik der Querdenker, die auch ein Kolumnist wie Martenstein erkennen müsste. Und mit der Bagatellisierung und Relativierung des millionenfachen Vernichtungstods geht es munter weiter – was, bitte schön, kann daran nicht antisemitisch sein?

Doch das eigentlich Perfide findet sich bereits im ersten Satz des Kommentars. Darin verweist Martenstein auf Proteste von Ultraorthodoxen in Jerusalem gegen die Regierung, wobei diese ebenfalls mit dem »Judenstern« unterwegs waren. Da ist er also wieder, der berühmte jüdische Kronzeuge, der immer dann aus der Trickkiste geholt wird, um anschließend den allergrößten Schwachsinn zu verzapfen.

Außerdem gilt immer noch die alte Regel: Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Ich habe einen schrecklichen Verdacht: Hat Martenstein diesen Satz etwa nicht begriffen?

Der Autor ist Historiker und lebt in Berlin.

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