Debatte

Genug für alle

Hahn auf: Es kann eine persönliche Befriedigung sein, den eigenen Reichtum mit anderen zu teilen. Foto: imago / (M) Frank Albinus

Es ist sicher lobenswert, dass in diesen Tagen Reiche und Superreiche erklären, sie seien dazu bereit, etwas von ihrem Wohlstand für die Gemeinschaft abzugeben. Insbesondere, weil entsprechende Untersuchungen zeigen, dass Betuchte die Wirtschaftskrise sehr gut überstanden haben – und womöglich sogar noch wohlhabender geworden sind. Laut des Welt-Vermögens-Berichts 2010 haben die Reichen dieser Erde wieder so viel Geld wie vor dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Zehn Millionen Menschen besaßen Ende 2009 zusammen 39 Billionen Dollar, das sind 19 Prozent mehr als im Jahr davor. Die 93.000 Superreichen (das sind diejenigen, die über mehr als 30 Millionen Dollar verfügen) konnten ihren Besitz um 22 Prozent steigern. Dagegen hat sich die Anzahl der Armen nach Angaben der Weltbank deutlich erhöht.

Reichensteuer Die Misere geht also wie so oft ausschließlich auf Kosten der Mittellosen, auf Kosten der Lohn- und Gehaltsempfänger und derjenigen, die immer schon um ihre Existenz kämpfen mussten. Es hat wieder eine Umverteilung der irdischen Güter von unten nach oben stattgefunden. Es kann aber nicht sein, dass die Gemeinschaft auf die Freiwilligkeit Einzelner angewiesen ist. So sind auch nur wenige Reiche und Besserverdienende dazu bereit, einer dauerhaften Steuererhöhung für ihresgleichen zum Wohle der Gesellschaft beizupflichten. Der höchstverdienende Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp und Siemens, wäre beispielsweise lediglich mit einem »befristeten Solidarzuschlag« einverstanden. Warum befristet? Ein Gemeinwesen kann nur dann bestehen, wenn dauerhafte Solidarität verbindlich ist. Diese ist zwar in der Bundesrepublik im Grundgesetz verankert, doch vermissen wir seit Langem die konsequente Umsetzung. Dafür gilt es zu streiten und zu kämpfen. Eine Reichensteuer? Aber klar doch!

Für die gesetzlich verankerte Solidarität des Einzelnen mit der Gemeinschaft, die sich materiell auszudrücken hat, steht im jüdischen Gesetz die Zedaka, die nicht nur eine Pflicht (Mizwa) aller Juden ist, sondern ein begründeter Rechtsanspruch eines jeden Armen und Bedürftigen. Diese Abgabe soll nicht mehr als ein Zehntel, aber auch nicht weniger als ein Zwanzigstel des eigenen Einkommens betragen. Auch Menschen ohne Geld sollen in die Lage versetzt werden, Zedaka zu geben, damit sie nicht beschämt werden und ihre Würde gewahrt bleibt. Mittellose und Einsame dürfen nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Ich erinnere mich noch genau daran, wie mein Vater jeden Schabbat einen oder mehrere Alleinstehende und Bedürftige aus der Synagoge zu uns nach Hause einlud. Und ich erinnere mich auch daran, dass diese oft Notleidenden nicht unbedingt demütig waren, sondern stolz und aufmüpfig, was wir gemeinhin als Chuzpe bezeichnen.

Microsoft Folgende Geschichte illustriert dies: Als in Deutschland in den 20er-Jahren die große Wirtschaftskrise wütete, kam ein alter Jude aus Polen zu meinem Vater und bat ihn um Geld. Mein Vater erklärte dem Mann, dass es in Deutschland viel Armut und Elend gibt und dass auch seine Geschäfte schlecht liefen. Der Alte erwiderte: Kum ach denn in Deutschland? Bin entläufen fin Poilen! (Im Sinne von: Ich bin doch nicht nach Deutschland gekommen, sondern aus Polen weggelaufen!) Doch täusche sich keiner: Auch Reiche können in hohem Maße davon profitieren, wenn sie von ihrem Reichtum abgeben. Der Großinvestor Warren Buffett und Microsoft-Gründer Bill Gates haben das vermutlich erkannt. Die beiden vielfachen Milliardäre versammelten vor Kurzem wieder einmal andere ähnlich gut situierte Menschen zu einem Essen, um ihnen klar- zumachen: Es lässt sich auch sehr gut leben – vielleicht sogar besser –, wenn man auf die eine oder andere Milliarde verzichtet. Denn es verschafft persönliche Befriedigung, anderen etwas zu geben, verpflichtend wohltätig zu sein. Weil Gutes zu tun, guttut.

Nicht zu vergessen: Armut ist im Judentum nichts, was gottgegeben ist und in den Himmel führt, sondern ein Übel, das es zu bekämpfen gilt. Das betrifft alle Menschen.

Jakob Moneta, 1914 in Blasow (Galizien) geboren, verließ 1933 Hitler-Deutschland und ging nach Palästina. Nach seiner Rückkehr war er Diplomat und langjähriger Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung »Metall«.

Niedersachsen

Moscheen in Hannover mit »Israel«-Schriftzügen besprüht

Unbekannte haben »Israel«-Schriftzüge auf mehrere Moscheen in Hannover geschmiert. Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter und die jüdische Gemeinde reagieren entsetzt

 11.12.2025

Berlin

Erstmals Chanukka-Feier im Bundestag

Zur Feier werden unter anderem der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein und Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann erwartet

 11.12.2025

Block-Prozess

Mutmaßlicher Entführer-Chef: Aussage gegen sicheres Geleit

Hat Christina Block den Auftrag erteilt, ihre Kinder aus Dänemark zu entführen? Der mutmaßliche Chef der Entführer äußert sich dazu als Zeuge vor Gericht

 11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von Janet Ben Hassin  10.12.2025

Debatte

Merz, Trump und die Kritik an der Migration

Deutschlands Bundeskanzler reagiert auf die Vorwürfe des US-Präsidenten

von Jörg Blank  10.12.2025

Debatte

Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Der Sänger kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorfälle, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025