Bayerns früherer Innenminister Günther Beckstein (CSU) sieht die Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) als »größte Niederlage des Rechtsstaats in meiner aktiven Zeit«. Das sagte er im Interview der »Nürnberger Nachrichten« (Dienstag). Die Täter hätten eine »unglaubliche Professionalität« an den Tag gelegt. Zugleich habe es viele Pannen in der Ermittlungsarbeit der einzelnen Behörden gegeben. »Allerdings nicht die eine Panne, wo man gesagt hat: Hätte es da funktioniert, dann wäre alles anders gelaufen.«
Er sei immer der Meinung gewesen, dass es in der Region weitere Mitwisser oder Helfer gegeben haben müsse, so Beckstein, der von 1993 bis 2007 bayerischer Innenminister und von 2007 bis 2008 bayerischer Ministerpräsident war. Dazu hätten auch einzelne Hinweise vorgelegen. »Die Ermittlungsarbeit liegt seit einiger Zeit beim Generalbundesanwalt, und dessen Ermittlungsarbeit war offen gestanden ebenso wenig zufriedenstellend wie die der verschiedenen Landeskriminalämter«, befand Beckstein.
Ermittlungen in alle Richtungen
Vielleicht würden noch weitere NSU-Unterstützer gefunden - »wenn Frau Zschäpe zu reden beginnt. Und zwar ernsthaft und nicht nur in einer formalen Weise.« Ansonsten habe er diesbezüglich wenig Hoffnung.
Beckstein wandte sich gegen den Vorwurf, dass nur gegen das Umfeld der Opfer ermittelt worden sei. »Das ist falsch. Es ist in alle Richtungen ermittelt worden.« Er habe veranlasst, dass der Bayerische Verfassungsschutz zur Frage nach einem möglichen rechtsextremistischen Hintergrund eingeschaltet worden sei. Aber auch das rechtsextremistische Milieu habe nicht gewusst, dass es sich bei den Tätern um Rechtsextremisten gehandelt habe.
Auf die Opferfamilien konzentriert habe man sich dann, weil keine einzige Spur weitergeführt habe. »Natürlich ist die erforderliche Sensibilität zu wahren. Es ist in der Nachschau sicher offensichtlich, dass das nicht immer erfolgt ist.« Die Zusammenhänge zum Rechtsextremismus seien damals nicht gesehen worden. Heutzutage sei man in dieser Hinsicht sensibler und betrachte diese Gefahr viel sorgfältiger als vor 20 oder 25 Jahren.
»Konnte sich niemand vorstellen«
Dem »Fränkischen Tag« sagte Beckstein ebenfalls am Dienstag: »Es hat sich niemand - ich sage bewusst: niemand - vorstellen können, dass eine Organisation wie der NSU existiert.« Die Mordserie gehe ihm auch 25 Jahre nach dem ersten Mord der Serie, dem am Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg, nahe: »Ich kannte Herrn Simsek, habe oft bei ihm eingekauft und wir haben immer ein paar Worte gewechselt.« - Der NSU tötete zwischen den Jahren 2000 und 2006 insgesamt neun Kleinunternehmer mit türkischen oder griechischen Wurzeln, außerdem 2007 eine Polizistin.