Interview

»Es werden Feinde markiert«

»Tagesspiegel«-Redakteur Sebastian Leber Foto: Tagesspiegel/Nassim Rad

Herr Leber, Sie haben im »Tagesspiegel« geschrieben, dass es keine hörbaren moderaten Stimmen im propalästinensischen Protest gibt. Was waren die Reaktionen?
Ich bekam Todeswünsche, Morddrohungen. Es gab viele menschenverachtende Beleidigungen, die man aus einer angeblich progressiven Szene nicht erwartet. Diese Reaktionen zeigen auch ein gestörtes Verhältnis zur Presse: Viele halten es für normal, Kritik mit Hass zu beantworten. Unter den Hunderten Nachrichten konnte mir übrigens niemand einen Gegenbeweis liefern: also eine größere Demonstration zeigen, die nicht von Terrorverherrlichern oder sonstigen Israelhassern organisiert wurde und auf der zum Beispiel eine Zweistaatenlösung diskutiert werden konnte. Vielen, die dort mitlaufen, ist noch immer nicht klar, wer die Proteste organisiert und dass die Parolen nichts anderes bedeuten, als Israel auslöschen zu wollen.

Haben Sie auch Zustimmung erhalten?
Ich habe viele Nachrichten von Palästinensern bekommen, die sagen: Wir würden gern auf die Straße gehen, aber mit unseren Positionen werden wir dann gleich beschimpft. Man gilt sofort als Verräter. Darunter waren auch Menschen, die Verwandte in Gaza haben und sich vor allem eine Waffenruhe wünschen, langfristig Sicherheit und Wohlstand. Aber eine friedliche Lösung wird durch die Radikalen auf der Straße komplett abgelehnt und im Diskurs immer weiter verunmöglicht. Diese Bewegung hilft den Palästinensern nicht.

Kürzlich wurde ein jüdisches Paar aus einem Demonstrationszug heraus angegriffen. Am Wochenende lauerte ein Protestler einem Reporter mit einem Messer auf. Überrascht Sie diese Gewalt?
Das ist die zwangsläufige Folge der Parolen, die auf diesen Demos von Lautsprecherwagen schallen: Dort werden Feinde markiert. Diese Aufrufe, gegen jeden vorzugehen, der nicht auf Linie ist. Ich fürchte, da wird noch mehr auf uns zukommen. Die Bewegung ist zwar kleiner geworden, aber der harte Kern isoliert und radikalisiert sich zunehmend. Das ist ähnlich wie bei den Querdenkern.

Sie haben auch intensiv über diese Szene und über die Reichsbürger berichtet. Sehen Sie weitere Parallelen?
Die antisemitischen Narrative sind teilweise die gleichen. Manche Verschwörungstheoretiker mischen inzwischen prominent in der propalästinensischen Bewegung mit. Wenn man sich über Monate in so einer Bewegung verrannt hat, wird es immer schwieriger zuzugeben, dass man falsch abgebogen ist. Man hat eine Menge investiert: Man hat Freunde verloren, Dutzende Anzeigen am Hals, kann vielleicht keinen Job mehr finden. Also bleibt man in der Bewegung, auf die man sein ganzes Leben ausrichtet. Sich an diesem Punkt einzugestehen, dass die eigenen Überzeugungen Quatsch waren, jedenfalls keinen Frieden bringen, ist schwierig. Denn dann würde man zugeben, dass alles umsonst war.

Mit dem Reporter des Berliner »Tagesspiegel« sprach Mascha Malburg.

Regierung

Mit Davidstern ins Kabinett

Karin Prien wird Deutschlands erste Bundesministerin mit jüdischen Wurzeln. Erst seit wenigen Jahren spricht die CDU-Politikerin öffentlich über ihre Familiengeschichte

von Michael Thaidigsmann  30.04.2025

Iran

Mullahs lassen angeblichen Mossad-Informanten hinrichten

Die Zahl der Hinrichtungen hat in den vergangenen Jahren drastisch zugelegt

 30.04.2025

Buenos Aires

Argentinien stellt Dokumente über geflohene Nazis online

Viele hochrangige Nationalsozialisten flohen nach dem Zweiten Weltkrieg vor Strafverfolgung – vor allem nach Südamerika. In Argentinien sind Dokumente zu den NS-Tätern nun digital zugänglich

 30.04.2025

Hanau

Antisemitisches Plakat an Schule: Staatsschutz ermittelt

In einem angrenzenden Park gab es eine Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde. Besteht ein Zusammenhang?

 30.04.2025

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025