Interview

»Es gab keine Zusammenarbeit mit der AfD«

»Deutschland muss ohne Wenn und Aber an der Seite Israels stehen«: Friedrich Merz, Kanzlerkandidat von CDU/CSU Foto: picture alliance/dpa

Herr Merz, ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vergangene Woche im Bundestag zur Begrenzung der illegalen Migration hat neben viel Zustimmung auch massive Kritik geerntet, weil eine Mehrheit nur mit der AfD zustande gekommen ist. Ist Ihnen seitdem einmal der Gedanke gekommen, Ihr Vorgehen könnte ein Fehler gewesen sein?
Nein! Das war eine wichtige, notwendige parlamentarische Debatte, die wir geführt haben, und sie hat einiges geklärt: Zum einen, dass die CDU/CSU es ernst meint mit dem Politikwechsel in der Migration. Zum anderen, dass die Grünen offensichtlich aus inhaltlichen Gründen nicht dazu bereit sind und die Sozialdemokraten ihren Wahlkampf für wichtiger halten als die Lösung des Problems. Mit unserem Antrag haben wir die Mehrheit der Menschen im Land hinter uns – und sogar eine Mehrheit der SPD-Wähler.

Unklarer ist für einige dagegen geworden, wie Sie es mit der Brandmauer zur AfD halten. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Sie de facto mit einer in Teilen rechtsextremen Partei zusammengearbeitet haben?
Das ist völlig abwegig. Der Vorwurf ist falsch, und diejenigen, die ihn erheben, wissen, dass er falsch ist. Wenn wir einen Antrag in den Bundestag einbringen, den wir in der Sache für richtig halten, und andere Fraktionen diesem Antrag zustimmen, ist das keine Zusammenarbeit. Es hat in der ganzen Wahlperiode nicht eine einzige »Zusammenarbeit« zwischen uns und der AfD gegeben, und sie wird es auch in Zukunft nicht geben.

Ab wie vielen Anträgen oder Gesetzen, die auf diese Weise mit der AfD zustande kommen, wäre es in Ihren Augen eine Zusammenarbeit?
Die Union hat mit der AfD im Deutschen Bundestag keine Mehrheit. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, hat etwas mit dem Auseinanderbrechen der Ampel im November zu tun. Wenn wir eine Regierung mit einer Mehrheit im Bundestag hätten, dann hätte sie Entscheidungen treffen können. SPD und Grüne sind eine Minderheitsregierung. Sollen wir es deswegen aufgeben, unsere eigenen Anträge in den Bundestag einzubringen?

Können Sie sich dieses Vorgehen künftig als Muster für die Mehrheitsbeschaffung im Bundestag vorstellen, oder war das eine Ausnahme?
Am 23. Februar ist die Bundestagswahl, und danach haben wir wieder parlamentarische Mehrheiten für eine Regierung.

»Mit einer Partei, die zum Teil offen antisemitisch ist, zusammenzuarbeiten oder gar zu regieren, ist für mich unvorstellbar.«

Schließen Sie aus, dass Sie nach der Wahl mit der AfD koalieren?
Ja, eine Koalition mit der AfD schließe ich zu 100 Prozent aus. Ich würde die Seele der CDU verkaufen, wenn ich das zulassen würde. Diese AfD steht für das glatte Gegenteil von dem, was die CDU in 75 Jahren für richtig gehalten und aufgebaut hat in Deutschland. Die AfD will aus dem Euro raus, die EU und die Nato verlassen. Mit einer Partei, die zum Teil offen antisemitisch ist, zusammenzuarbeiten oder gar zu regieren, ist für mich unvorstellbar.

Für Ihr Vorgehen im Bundestag sind Sie von jüdischer Seite, neben viel Zustimmung, von Michel Friedman und zwei Holocaust-Überlebenden kritisiert worden. Der 99-jährige Albrecht Weinberg will gar sein Bundesverdienstkreuz aus Protest zurückgeben. Wie wollen Sie dieses verlorene Vertrauen wiedergewinnen?
Indem ich genau das ständig wiederhole, was ich auch hier gesagt habe und gegebenenfalls auch mit dem einen oder anderen, der das immer noch nicht akzeptiert, auch persönlich spreche. Noch einmal: Ich lasse an meiner Partei und auch an mir an keiner Stelle irgendeinen Zweifel darüber zu, dass wir an der Seite aller Jüdinnen und Juden stehen, wenn es um den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland gehtz. Da hat es an Eindeutigkeit meiner Partei und meiner Person nie gefehlt. Und das wird auch so bleiben. Vor allem Kinder sind mir besonders wichtig. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel habe ich zweimal das Moses-Mendelssohn-Gymnasium in Berlin besucht und mit Schülerinnen und Schülern intensiv über ihren Alltag und ihre Erlebnisse gesprochen. Ich denke immer wieder an den Besuch.

Können Sie sich vorstellen, das Gespräch mit Herrn Weinberg zu suchen?
Es hat mit ihm schon ein Gespräch gegeben. Auch ich kann mir jede Form der Kommunikation vorstellen, um diese Befürchtungen auszuräumen. Sie sind unbegründet.

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Deutschland hat nicht nur gegenüber den Juden im eigenen Land eine besondere Verantwortung, sondern auch gegenüber dem jüdischen Staat, Israel. Wie würden Sie dieser nachkommen, sollten Sie Bundeskanzler werden?
Ich habe gute persönliche Kontakte im Land und war in den vergangenen zwei Jahren zweimal zu Besuch bei unseren Freunden in Israel. Dort habe ich mit Vertretern der Regierung, einschließlich Benjamin Netanjahu, intensive Gespräche geführt. Unter meiner Führung wird der israelische Ministerpräsident unbehelligt nach Deutschland reisen können. Ich werde Mittel und Wege finden, das zu ermöglichen. An der engen Verbindung zu Israel lassen wir als CDU zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Zweifel.

Gegen Netanjahu liegt ein Strafbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wegen angeblicher Verbrechen im Gazakrieg vor. Was wäre denn ein Weg, auf dem er in Deutschland einreisen könnte, ohne verhaftet zu werden?
Wir werden dafür eine juristische Lösung finden. Der Internationale Strafgerichtshof ist einst gegen autoritäre Staaten mit demokratisch nicht legitimierten Regierungen gegründet worden. Israel ist die einzige Demokratie im gesamten Nahen und Mittleren Osten. Es ist unvorstellbar, dass ein Repräsentant dieses Staates nun ausgerechnet wegen einer Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs nicht mehr in die Staaten der Europäischen Union einreisen können soll.

Unter der Ampel gab es vorübergehend ein De-facto-Waffenembargo gegen Israel. Wie würden Sie das handhaben, wenn Sie Bundeskanzler werden würden?
Die Waffenlieferungen an Israel sind für mich dadurch nicht infrage gestellt. Wir als Unionsfraktion haben im Deutschen Bundestag immer wieder deutlich gemacht: Wir wollen und müssen Israel auch in Zukunft helfen, sein Selbstverteidigungsrecht wahrzunehmen. Das Lavieren der bisherigen Bundesregierung und auch die erkennbare Täuschung der Öffentlichkeit über das, was tatsächlich aus Deutschland geliefert wird, würde unter meiner Führung nicht fortgesetzt werden.

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Würde eine Bundesregierung unter Ihnen die außenpolitische Linie der Ampel beibehalten und sich in der Europäischen Union sowie den Vereinten Nationen bei israelfeindlichen Resolutionen regelmäßig enthalten?
Diese Enthaltungen der Bundesregierung sind ein Armutszeugnis der deutschen Politik. Das ist für uns als CDU und CSU keine Option. Deutschland muss hier klar Stellung beziehen und ohne Wenn und Aber an der Seite des Staates Israel stehen.

Die israelische Kriegsführung in Gaza steht immer wieder in der Kritik. Wie bewerten Sie Israels Vorgehen nach dem 7. Oktober 2023?
Das Kriegsvölkerrecht gilt natürlich auch für Israel. Auf der anderen Seite muss man einfach ganz nüchtern sehen, dass Israel von Feinden umgeben ist, die sein Existenzrecht infrage stellen. Und dass dieser Staat, dieses Land, dieses Volk sich dagegen bis jetzt erfolgreich gewehrt hat, darf nicht zum Gegenstand grundsätzlicher Kritik werden. Gleichwohl hat Israel humanitäre Verpflichtungen. Im Gazastreifen gibt es großes Elend, und Israel muss ein eigenes Interesse daran haben, dass sich dort kein Nährboden für die Entstehung einer wieder erstarkten Hamas bildet.

»Die Verantwortung dafür, dass so viele Zivilisten Opfer dieses Krieges geworden sind, liegt vor allem bei der Hamas.«

Israel tut sehr viel dafür, im Krieg gegen die Hamas die Zivilisten zu schützen. Die Hamas dagegen benutzt die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschilde. Sind nicht eher andere Akteure als Israel für das Elend in Gaza verantwortlich?
Selbstverständlich. Die Verantwortung dafür, dass so viele Zivilisten Opfer dieses Krieges geworden sind, liegt vor allem bei der Hamas und bei der Führung der Hamas im Gazastreifen. Die einseitige Darstellung, dass Israel im Gazastreifen nicht genügend geholfen hat, übersieht, dass die Hamas mit dafür gesorgt haben, dass die Verteilung der Hilfsgüter nicht erfolgreich vonstattengehen konnte.

US-Präsident Donald Trump hat einen Wiederaufbauplan für Gaza vorgelegt. Was ist Ihre Vorstellung von der Zukunft des Küstenstreifens?
Jetzt geht es zunächst einmal darum, den Waffenstillstand aufrechtzuerhalten und dafür zu sorgen, dass alle Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas freikommen und die Bevölkerung in Gaza gut versorgt wird. Danach muss man sich Schritt für Schritt einer Lösung des Problems zuwenden. Aber ich gehe davon aus, dass es Monate, wenn nicht Jahre dauern wird, bis es zu einer solchen Lösung kommen wird.

Kommen wir abschließend zurück nach Deutschland und zur CDU. Die hat das »christlich« im Namen. Wie viel Platz hat das Jüdische in Ihrer Partei?
Das Christliche im Namen der CDU heißt nicht katholisch oder evangelisch, sondern steht für etwas, das auch andere Religionsgemeinschaften umfassen kann und auch diejenigen, die gar keiner Religion oder Glaubensgemeinschaft angehören. Es geht um ein Menschenbild und eine Grundüberzeugung, die uns auch ein bisschen demütig macht: zu wissen, dass wir auf dieser Welt nicht die letzten, sondern nur die vorletzten Entscheidungen treffen. Wir sind offen für alle diejenigen, die sich diesem Gedanken verpflichtet fühlen.

Mit dem Kanzlerkandidaten von CDU und CSU sprachen Philipp Peyman Engel, Tobias Kühn und Joshua Schultheis. Für die Interview-Reihe der Jüdischen Allgemeinen zur Bundestagswahl wurden alle relevanten demokratischen Parteien angefragt.

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