Mirjam Wenzel

Erziehung zur Selbstreflexion

Mirjam Wenzel, Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt Foto: dpa

Zum Holocaustgedenktag am 27. Januar hat die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Mirjam Wenzel, die Bürger und Bürgerinnen zur eigenen Erinnerung aufgefordert. »Es muss eine größere Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte stattfinden«, sagte Wenzel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die heute Lebenden müssten sich mit »der Tradition des Schweigens und Verdrängens« in ihren Familien auseinandersetzen. Aufgabe von Bildungseinrichtungen sei es, dazu beizutragen und zur Selbstreflexion zu erziehen.

Dass zugewanderte Jugendliche fragten, was sie mit dem deutschen Nationalsozialismus zu tun hätten, sei nachvollziehbar, sagte die Politik- und Literaturwissenschaftlerin, die 1972 in Frankfurt geboren wurde. Den jungen Menschen müsse vermittelt werden, dass das Grundgesetz und demokratische Werte, die UN-Menschenrechtscharta und die gegenwärtige politische Ordnung auf der Überwindung des Nationalsozialismus beruhten. »Auschwitz geht uns immer noch an«, sagte Wenzel. »Das empfinden insbesondere die Nachfahren von Überlebenden so.«

begegnung Beim Gedenken gehe es um die Frage, wie Menschen heute zu einer Auseinandersetzung mit den monströsen Verbrechen bewegt und von der Geschichte berührt werden könnten. Dies könne durch die Begegnung mit Personen der Zeitgeschichte, durch den Besuch historischer Orte oder durch Medien geschehen, erklärte die Direktorin. Interviews mit Zeitzeugen seien in den vergangenen Jahren aufgezeichnet worden und medial verfügbar, auch Vertreter der zweiten Generation vermittelten Zeugnisse weiter.

Jugendliche seien nur dann zu erreichen, wenn sie sich mit einem Teilaspekt der Geschichte identifizieren könnten.

Jugendliche seien nur dann zu erreichen, wenn sie sich mit einem Teilaspekt der Geschichte identifizieren könnten. Das Lesen der Bücher von Zeitgenossen, wie das Tagebuch der Anne Frank oder die Fluchtgeschichte von Judith Kerr Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, sei dafür geeignet. Wenzel sprach sich gegen Pflichtbesuche von Schülern an Gedenkstätten aus. Bei verordneten Besuchen sei die Gefahr der inneren Abwehr zu groß.

kritik Von jüdischer Seite gebe es durchaus Kritik an der deutschen Erinnerungskultur, ergänzte die Direktorin. Das Gedenken sei demnach von dem Wunsch getragen, von der Last der Geschichte befreit zu werden. Das Etikett »Erinnerungsweltmeister« diene in erster Linie der Selbstbestätigung.

Im Kampf gegen den Antisemitismus sei Erinnerungsarbeit nicht alles, gab Wenzel zu bedenken. Angesichts der politischen Umbrüche nehme der Antisemitismus in Europa und Nordamerika derzeit zu. Die Enthemmung zu verbaler und tätlicher Gewalt gegen Juden sei in einem von sozialen Medien befeuerten Klima der latenten Gewalt und Hetze stark gestiegen. Es sei eine politische Aufgabe, dagegen anzugehen.  epd

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Tobias Kühn

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert