Gedenken

Erinnerung hat kein Verfallsdatum

Zeremonie in Yad Vashem Foto: Flash 90

Gedenken

Erinnerung hat kein Verfallsdatum

Andreas Michaelis, deutscher Botschafter in Israel, zum Jom Haschoa

von Andreas Michaelis  16.04.2012 18:22 Uhr

Am heutigen 19. April gedenkt Israel der Millionen Opfer des Holocaust. Für einen Moment steht das öffentliche Leben still. Das Land schweigt – in Erinnerung an die verlorenen Frauen, Männer, Kinder. Die Schoa, der millionenfache Mord, scheint unsere Vorstellungskraft zu übersteigen. Und doch wurde das Grauen von Menschen gewollt, geplant und in die Tat gesetzt.

Im Januar 1942 kamen in der »Villa am Wannsee« bei Berlin hochrangige deutsche Beamte und Offiziere zusammen, um die Organisation des Genozids an den Juden Europas zu planen. Sechs Millionen Juden wurden von Deutschen und ihren Helfern getötet. Diese deutschen Täter waren keine Unbekannten. Sie lebten in der Generation unserer Eltern und Großeltern.

»Die Verantwortung für die Schoa ist Teil der deutschen Identität«, so hat es Bundespräsident Horst Köhler 2005 vor der Knesset ausgedrückt. Die Erinnerung an die Schoa zu erhalten, stellt für mich als deutscher Botschafter in Israel eine besondere Aufgabe dar. Insbesondere für die junge Generation.

Im letzten Jahr verstarb hier in Israel Noach Flug, der als junger Mann den Todesmarsch aus Auschwitz überlebte. Er führte als langjähriger Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees eine beeindruckende Arbeit gegen das Vergessen. Die Erinnerung »hat kein Verfallsdatum, und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder beendet zu erklären«, so argumentierte Flug.

erinnerung Und doch wird es auch schwieriger, die Erinnerung an die Schoa zu erhalten. Dieser Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich bei der Beerdigung Noach Flugs an seinem Grab stand. Dieser Verlust machte mir erneut schmerzlich bewusst: In Israel und überall auf der Welt sind immer weniger Überlebende der Schoa unter uns, die ihre persönlichen Erfahrungen an die folgenden Generationen weitergeben können.

Viele junge Deutsche wissen um die Verbrechen an den Juden Europas. Und sie begegnen den damit verbundenen Fragen mit Sensibilität, Offenheit und Verantwortung. Gleichwohl rückt für sie die Vergangenheit in die Ferne. Zugleich verändert sich in der jungen Generation der Bezug zur Schoa durch den wachsenden Anteil von Deutschen mit Migrationshintergrund. Hier finden wir keine Erinnerungslinien in den Familien.

Der ungelöste israelisch-palästinensische Konflikt verändert die Wahrnehmung Israels auch in Deutschland. Manche Deutsche begegnen dem Staat Israel deshalb nicht mit spontaner Sympathie. Dies darf man nicht übersehen oder verdrängen. Wir müssen den besonderen Charakter der Beziehungen zwischen Deutschland und Israel deshalb gerade auch gegenüber kritischen Stimmen in unserem Land betonen. Erst das Verständnis und die Anerkennung der besonderen Beziehungen zu Israel erlaubt es Deutschen überhaupt, in verantwortlicher Weise ein Urteil über politische Entwicklungen in Nahost zu sprechen.

begegnung Deswegen ist die Begegnung zwischen jungen Israelis und Deutschen so wichtig. Jedes Jahr nehmen rund 11.000 Jugendliche an Austauschprogrammen teil. Israelische Praktikanten arbeiten im Deutschen Bundestag, deutsche Freiwillige betreuen Kranke in israelischen Altenheimen.

Seit letzten Sommer musizieren Studenten aus Weimar und Jerusalem zusammen in einem neuen Jugendorchester. Anfang dieses Jahres hat die Bundesregierung eine auf viele Jahre angelegte neue Zusammenarbeit bei der Holocaust-Erziehung mit der Gedenkstätte Yad Vashem begründet.

Politisch haben Deutschland und Israel eine tiefe Freundschaft aufgebaut. Die grauenvolle Kluft unserer Vergangenheit macht diese Freundschaft kostbar und einzigartig. Es ist keine leere Formel, wenn wir sagen: Die Sicherung des Existenzrechts Israels gehört zur deutschen Staatsräson. Auf ganz persönlicher Ebene berührt mich die Entwicklung dieser Beziehungen. Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal in Israel arbeitete, hatte ich zunächst ein ungutes Gefühl, mit meinen Kindern im Supermarkt Deutsch zu sprechen.

Erst nach vielen Freundschaften, die ich mit Menschen in Israel schließen konnte, legte sich diese Befangenheit. Ich erlebe in diesen Tagen immer öfter, dass man als Deutscher in Israel in spontaner Weise interessiert, herzlich und mit Sympathie empfangen wird. In Erinnerung an das Grauen der Vergangenheit lehrt dies uns Deutsche Demut und Dankbarkeit.

Normal werden die Beziehungen zwischen Juden und Deutschen nie sein, so hat es der Autor Amos Oz einmal gesagt. »Sie sollten das auch gar nicht«, so Oz. »Sie sollten intensiv sein.« Diese Intensität ist meine tägliche Erfahrung.

Niedersachsen

Moscheen in Hannover mit »Israel«-Schriftzügen besprüht

Unbekannte haben »Israel«-Schriftzüge auf mehrere Moscheen in Hannover geschmiert. Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter und die jüdische Gemeinde reagieren entsetzt

 11.12.2025

Berlin

Erstmals Chanukka-Feier im Bundestag

Zur Feier werden unter anderem der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein und Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann erwartet

 11.12.2025

Block-Prozess

Mutmaßlicher Entführer-Chef: Aussage gegen sicheres Geleit

Hat Christina Block den Auftrag erteilt, ihre Kinder aus Dänemark zu entführen? Der mutmaßliche Chef der Entführer äußert sich dazu als Zeuge vor Gericht

 11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von Janet Ben Hassin  10.12.2025

Debatte

Merz, Trump und die Kritik an der Migration

Deutschlands Bundeskanzler reagiert auf die Vorwürfe des US-Präsidenten

von Jörg Blank  10.12.2025

Debatte

Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Der Sänger kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorfälle, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025