Berlin

ELNET Awards verliehen

Es ist ein Preis mit Gewicht. Gesellschaftlich – und auch ganz wörtlich: Und so muss Sybille Krafft auch ein wenig nachfassen, um die vielleicht 30 Zentimeter hohe Glasskulptur in die Hand zu nehmen. »Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.« ist in die Glasoberfläche graviert.

Für herausragendes kulturelles Engagement haben Krafft, die Vorsitzende des Erinnerungsortes, und Jonathan Coenen, der stellvertretende Vorsitzende des Vereins, am Dienstagabend die Auszeichnung des European Leadership Networks (ELNET) entgegengenommen und zählen damit zu insgesamt vier Ausgezeichneten aus den Bereichen Kultur, Gesellschaft, Medien und Politik. Seit 2021 ehrt eine Jury jährlich Menschen, die sich für Verständigung, für Vermittlung von Zeitgeschichte und für das jüdische Leben einsetzen.

Sybille Krafft (2 v.r.) und Jonathan Coenen (2 v.l.) vom Erinnerungsort »Badehaus« mit der Laudatorin Dorothee Bär (l.) und ELNET-Chef Carsten Ovensn (r.)Foto: Anika Nowak

Krafft und Coenen sind sichtlich gerührt, das ihr Projekt, ein »Leuchtturmprojekt«, wie Laudatorin Dorothee Bär es nannte, einen ELNET Award bekommt. Dass sich viele Projekte wie eine Daueraustellung, Zeitzeugenberichte, Vorträge und vieles andere verwirklichen lasse, sei nur dank des ehrenamtlichen Engagements des Vereins zustande gekommen, betont Krafft. »Wir hoffen, dass unser historischer Schatz, Föhrenwald, dessen Geschichte noch viel zu wenig erforscht worden ist, das er eine Chance hat, bundesweit bekannt zu werden.« Ein Drittel des Teams, erzählt Coenen, ist unter 27 Jahre alt – eine Besonderheit bei einem Erinnerungsprojekt.

Die JSUD setzt Themen

Auch bei der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) engagieren sich junge Menschen für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens im Alltag. Die JSUD bringt sich in aktuelle politische und gesellschaftliche Debatten ein, sie redet aber nicht nur mit, sondern macht den ersten Schritt. So auch am 9. November 2023, wie Laudatorin Gitta Connemann (CDU) in Erinnerung ruf. »Als sie ihren ersten Brief an die Bildungsministerin schrieben, da forderten sie etwas, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein muss. ›Das Bundesministerium für Bildung Forschung muss sich zur dramatischen Lage mit einem Appell an die Universitäten richten, Antisemitismus und Terrorverherrlichung in keiner Weise zu dulden.‹ Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.«

JSUD-Präsidentin Hanna Veiler (l.) mit Deborah Kogan (r.) und der Laudatorin GItta Connemann (CDU) (M.)Foto: Anika Nowak

Was dann geschah, erzählt Connemann: »Sie haben die legislative Welt verändert, denn aufgrund ihres Einsatzes hat der Berliner Senat beschlossen, dass gewalttätige Studierende exmatrikuliert werden.« 

JSUD-Präsidentin Hanna Veiler, die mit ihrer Kollegin Deborah Kogan den ELNET Award in der Kategorie Politik entgegennahm, fand klare Worte, um die Situation, in der sich Jüdinnen und Juden finden, zu beschreiben: »Es ist gerade wirklich schwierig und schmerzhaft, jüdischer Studierender, jüdische Studierende zu sein.« Man kämpfe aber nicht allein, sagte sie mit Blick auf die Mitnominierten »Fridays for Israel« um Clara von Nathusius und Tim Gräfe, und dem »Bernhard-Kreis«, einer Vereinigung im Bundestag, die Parlamentarier überfraktionell zusammenbringen möchte. 

Ben Salomo rappte bei der Verleihung

Nicht allein im Jahr 2024. Vor zehn Jahren fühlte sich der Musiker Ben Salomo sehr allein, als er auf dem Ku’damm antisemitische Sprechchöre wie zum Beispiel »Jude, Jude, feiges Schwein, komm’ heraus und kämpf‹ allein«, hörte. Als Reaktion darauf schrieb er seinen Song »Kämpf allein«, den er am Dienstagabend performte. Ben Salomo veröffentlichte den Song einen Monat nach den Massakern des 7. Oktober. »Es ist erstaunlich, dass etwas, was ich wenige Jahre vorher schrieb, so extrem in unsere aktuelle Zeit passt.« Nicht nur dafür bekam Ben Salomo Applaus.

Rapper Ben Salomo Foto: Anika Nowak

Ganz still, auf einem Leipziger Dachboden, wie Susanne Siegert in ihrer kurzen Dankesrede für den ELNET Award in der Kategorie Medien, erzählte, produziert die Leipzigerin Clips, die sie auf ihrem Instagram-Account »keine.erinnerungskultur«veröffentlicht. Die bislang 84 Beiträge können 101.000 Follower sehen.

Susanne Siegert (M.) klärt mit ihrem Instagram-Account @keine.erinnerungskultur über Geschichte auf. Ihre Laudatorin war Lisa Badum (r.) (Bündnis 90/Die Grünen)Foto: Anika Nowak

Sie widmet sich Themen wie verschiedenen Opfergruppen, weniger bekannten Orten der NS-Verfolgung oder rechte Symboliken der Gegenwart und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Vermittlung von Geschichte. In Zeiten, in denen sich rechtsextreme Parteien die sozialen Medien für ihre kruden Thesen nutzen, ist Siegert mit ihrem Kanal einfach unverzichtbar.

Was verbindet Görlitz und Anne Frank?

Im gleichen Bundesland lebt Lauren Leiderman. Die gebürtige Amerikanerin zog vor fünf Jahren mit ihrer Familie nach Sachsen. Und damit begann ihre Spurensuche nach der jüdischen Geschichte in ihrer neuen Heimat. Was sie herausfand, war nicht nur eine Spur zu Anne Frank, sondern auch zu den Lebensgeschichten vieler jüdischer Görlitzer. Dank ihrer Recherche kamen 120 Nachfahren zusammen. Leiderman hat dafür den ELNET Award in der Kategorie Gesellschaft erhalten und erinnerte sich, wie sie teils nächtelang vor dem Computer saß.

Lauren Leiderman erforschte die jüdische Geschichte in Görlitz. Ihr Laudator war Mahmut Özdemir, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern Foto: Anika Nowak

So oft, dass ihr Mann sie irgendwann bat, einfach Schluss mit der Suche zu machen. Wie gut, dass sie seine Bemerkung überhörte, denn in diesem Augenblick fand sie eine Spur. Als am 7. Oktober die Terrororganisation Hamas israelische Ortschaften rund um den Gazastreifen angriff, seien auch die Nachfahren der Görlitzer Familie bedroht worden, berichtet Leiderman. Zusammen mit anderen Nachfahren startete sie eine Kampagne, um diesen Teil der Familie und auch andere vom Massaker betroffene Nachfahren Görlitzer Juden mit dem Nötigsten zu versorgen. 

Melody Sucharewicz setzt sich für die Geiseln ein.

Der 7. Oktober – für alle ist dieser Tag, der »Schwarze Schabbat« – immer noch unfassbar in seiner menschenverachtenden Brutalität. Und er wird es auch bleiben, auch wenn viel zu viele in Europa zu vergessen scheinen, was geschah. Um das Leid der Geiseln, der vielen Familien, deren Angehörige ermordet wurden und die Traumata nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, dafür setzt sich Melody Sucharewicz ein. Mit ihrer Stiftung »For Yarden« setzt sich Sucharewicz für die Solidarität mit den Geiseln.

Melody Sucharewicz erhielt den Ehrenpreis für ihr Engagement für die GeiselnFoto: Anika Nowak

In Berlin organisierte sie den Platz der Geiseln auf dem Bebelplatz, den mehr als 15.000 Menschen besuchten. Drei Wochen – vom 16. Mai an – waren unter anderem eine »Sanduhr der Geiseln«, ein nachgebauter Hamas-Tunnel und 119 leere Stühle zu sehen. Dafür erhielt die gebürtige Münchenerin den Ehrenpreis. Ein Jahr nach dem 7. Oktober soll es wieder einen »Platz der Geiseln« geben. Das kündigte Melody Sucharewicz am Dienstagabend an. Denn noch immer sind 101 Menschen in der Gewalt der Terrororganisation Hamas. 

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