Bundestagswahl

»Eine gute Grundlage«

»Gegebenenfalls werde ich mich von außen zu Wort melden«: Volker Beck in der Redaktion der Jüdischen Allgemeinen Foto: Marco Limberg

Herr Beck, 22 Jahre waren Sie im Bundestag und haben sich für jüdische Belange starkgemacht. Bald ist Schluss. Warum sollten jüdische Wähler dennoch grün wählen?
Das Klima betrifft Juden, Muslime, Christen und Atheisten in gleicher Weise. Aber etwa die Gleichstellung von jüdischen Kontingentflüchtlingen und christlichen Spätaussiedlern bei der Rente steht bei uns im Wahlprogramm. Bei anderen Themen ist die Fraktion oft nicht einheitlich aufgestellt. Aber ich denke, gerade in der Religionspolitik haben wir eine gute Grundlage geschaffen.

Geht, wenn Sie fehlen, nicht eine Flanke für andere auf?
Ich hatte bei wesentlichen Auseinandersetzungen immer die Fraktions- und Parteiführung hinter mir. Und ich denke, dass die bei der Frage, wer welches Thema in der nächsten Wahlperiode bearbeitet, genau hinschauen wird. Gegebenenfalls werde ich mich von außen noch mal zu Wort melden.

Sie haben zwei große Projekte verfolgt: die »Ehe für alle« und die rechtliche Gleichbehandlung von jüdischen Zuwanderern mit Spätaussiedlern. Eins hat funktioniert, die Zuwanderer sind der parlamentarischen Warteschleife. Wird das auch noch was?
Inzwischen haben einige Wohlfahrtsverbände dieses Thema erkannt. Und ich denke, dass sich die nächste Grünen-Fraktion um dieses Thema kümmert. Das Problem ist leider immer wieder: Das Thema ist weitgehend unbekannt; es ist ein Kampf gegen die Unwissenheit. Ein bisschen liegt es vielleicht auch an der Jüdischen Allgemeinen, das Problem bekannter zu machen.

An uns soll es nicht liegen! Zu den aktuellen Themen gehört auch die Diskussion um einen Antisemitismusbeauftragten. Wie kommen wir da weiter?
Ich war früher auch gegen diese Forderung. Ich dachte: Eigentlich müsste der Bundesinnenminister sich als Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung verstehen. Aber das ist offensichtlich nicht so. Um die Umsetzung der Empfehlungen des ersten Antisemitismusberichts hat sich praktisch niemand gekümmert. Und angesichts des Befundes des neuen – 25 Prozent sekundärer, 40 Prozent israelbezogener Antisemitismus – muss man ja sagen: Viel schlimmer kann es kaum kommen. Das Europäische Parlament hat alle seine Mitgliedsstaaten aufgefordert, Beauftragte zum Thema Antisemitismus einzusetzen. Die EU-Kommission selbst ist mit Katharina von Schnurbein kompetent und praktisch vorangegangen. Deutschland sollte da nicht Schlusslicht sein. Nach der Bundestagswahl sollte die Bundesregierung da Nägel mit Köpfen machen.

Besteht nicht die Gefahr, dass etwas, das vom Beauftragten nicht behandelt wird, nicht als Antisemitismus gilt?
Nein, ein Antisemitismusbeauftragter kann ja nichts beschließen, sondern nur immer wieder die zuständigen Stellen darauf hinweisen, dass die sich um Probleme zu kümmern haben, Konzepte einfordern und durchsetzen. Er kann besser den Leuten auf die Füße treten als ein einfacher Abgeordneter.

Können Sie sich vorstellen, der erste Antisemitismusbeauftragte zu werden?
Wenn man über Personen statt über Aufgaben redet, ist die Diskussion schnell vergiftet.

Zum Antisemitismus gehören auch Flüchtlinge, die oft judenfeindlich sozialisiert wurden. Wie gelingt da Integration?
Integration darf mit dem Integrationskurs nicht beendet sein. Man muss schauen, dass man das nicht nur als pädagogische Veranstaltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten organisiert – das funktioniert nicht. Wir müssen in dieser Sache stärker Leute aus der Migrations- und Flüchtlingscommunity als Agenten für Respekt, Aufklärung und Demokratie gewinnen. Wir müssen auch die islamischen Organisationen stärker fordern. Und zwar nicht, in-dem wir Pressemitteilungen abfordern, sondern dass sie konkrete Projekte machen. Wir müssen verlangen, dass sie sich beim Thema Antisemitismus – auch beim Thema Homophobie oder Nationalismus – kümmern. Der Liberal-Islamische Bund und der Zentralrat der Muslime haben da erste Dinge angestoßen.

Wie kann Integration funktionieren?
Reden und manchmal auch: streiten. Wir müssen mit den Leuten reden. Auch bei manchen Imamen gibt es beispielsweise ein Be-wusstsein für das Problem des Antisemitismus. Nur: Das reicht oft nicht so weit, dass nicht jede Form von Kritik an Israel legitim ist. Da dürfen wir uns vor Auseinandersetzungen nicht drücken.

Warum kann man nicht einfach sagen: Wir erwarten von euch, dass ihr euch als deutsche Muslime organisiert?
Man hat lange das Problem nicht für wichtig gehalten. Gerade mit der DITIB hat das ja so ungeheuer gut funktioniert: Man hat mal in Ankara angerufen, und alles war geregelt. Wer die kritisiert, holt sich eine Menge Ärger ins Haus. Das habe ich ja erlebt.

Wie geht es mit Ihnen weiter?
Das weiß ich selbst noch nicht. Ich will mein Mandat noch ordentlich zu Ende führen. Dann erst einmal lesen, lernen, schreiben und nachdenken. Meiner staatsbürgerlichen Pflicht, zu widersprechen, wenn Menschen abgewertet, ausgegrenzt oder Israel angegriffen wird, werde ich auch weiter nachkommen. Nicht mehr als Abgeordneter, aber als Bürger.

Gesprächsreihe
Am 24. September wählen die Deutschen den neuen Bundestag. Die Jüdische Allgemeine hat daher die religionspolitischen Sprecher der Fraktionen in die Redaktion eingeladen. Bis zum Wahltag dokumentieren wir die Gespräche. Den Auftakt macht Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen.

Meinung

Wieder ein Milliarden-Blankoscheck für Palästina?

Europa will den Wiederaufbau Gazas mit 1,6 Milliarden Euro fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, durch Scheckbuchdiplomatie etwas zum Besseren verändern zu können?

von Jacques Abramowicz  07.11.2025

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten besetzen ZDF-Hauptstadtstudio

Die Polizei musste die Besetzung beenden

 07.11.2025

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Berlin

Sarah Wedl-Wilson räumt Defizite bei Fördermittel-Vergabe ein

Wurden Gelder für Projekte gegen Antisemitismus rechtswidrig verteilt? Das werfen Grüne und Linke der Kultursenatorin vor. Nun äußert sie sich

 07.11.2025

Diplomatie

Kasachstan will sich den Abraham-Abkommen anschließen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Schritt wenige Tage vor dem Besuch des saudischen Kronprinzen im Weißen Haus. Auch Saudi-Arabien solle seine Beziehungen zu Israel normalisieren, so die Hoffnung des US-Präsidenten

 07.11.2025

Antiisraelischer Beschluss

Linken-Spitze distanziert sich von Parteijugend

Die Linksjugend Solid wirft Israel unter anderem einen »kolonialen und rassistischen Charakter« vor – und löst in der Partei Empörung aus

 06.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 06.11.2025

Terrorismus

Nach Hamas-Festnahme: Waffenfund in Österreich

Der österreichische Verfassungsschutz stellte fünf Faustfeuerwaffen und zehn Magazine sicher

 06.11.2025