Rechtsextreme

Ein Stamm ohne Apfel

Die NPD-Familie 2005: als Holger Apfel (rechts) noch Hoffnungsträger und Udo Voigt (nicht weniger rechts) noch Vorsitzender war Foto: dpa

Einen jungen »Kameraden« soll er belästigt haben: Dieser Vorwurf hat den bisherigen Vorsitzenden Holger Apfel kurz vor Weihnachten das Amt sowie die Mitgliedschaft in der NPD gekostet. Homosexuelle Neigungen und dann noch ein angeblicher Übergriff in den eigenen Reihen: Ein schlimmeres Vergehen lässt sich in der extrem schwulenfeindlichen Neonazi-Szene kaum erdenken.

Bewiesen ist allerdings nichts. Eine öffentliche Aussage des mutmaßlichen Opfers Daniel S. liegt nicht vor, auch von einer Anzeige ist nichts bekannt. Ein NPD-Funktionär, der Apfel und Daniel S. bei der betreffenden Wahlkampftour im Herbst begleitet hatte, will keinen Übergriff bemerkt haben. Zudem habe sich Daniel S. überhaupt nicht so verhalten, als sei etwas vorgefallen. Mehrere Indizien weisen auf eine Intrige gegen Apfel hin. Die NPD-Parteispitze raunte dennoch von schweren Vorwürfen, wollte diese aber nicht benennen, sondern versprach – wie üblich in solchen Fällen – bestmögliche Aufklärung.

FRIST Apfel wurde vor seinem Rückzug massiv unter Druck gesetzt, aus gut informierten Kreisen ist von einer Frist die Rede, die man ihm gesetzt habe. In einer Erklärung schrieb Apfel schließlich von »zunehmend ehrverletzenden Verleumdungen in diesen Tagen«. Diese Vorwürfe seien »zwar haltlos, aber mir ist bewusst, dass ich den damit verbundenen Makel nicht losbekommen werde«, so Apfel, der Vater von drei Kindern ist.

Die zahlreichen internen Gegner Apfels jubilierten. Ein NPDler legte dem bisherigen Parteichef sogar den Selbstmord nahe. Der NPD-Fraktionschef in Mecklenburg-Vorpommern und Parteivize Udo Pastörs nannte den Rücktritt einen »konsequenten Schritt«. Er habe schon länger von einer »Erkrankung« Apfels gewusst. Ein Wort des Bedauerns kam Pastörs nicht über die Lippen. Die NPD brauche, betonte er vielmehr, nun eine starke Führung.

Und die hat kommissarisch und möglicherweise auch längerfristig Pastörs selbst übernommen. Aus gut informierten Kreisen ist zu vernehmen, dass der NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag genug habe von der parlamentarischen Arbeit.

judenhass Mit Pastörs hat ein fanatischer Antisemit die NPD übernommen. Bekannt wurde eine Rede Pastörs’ aus dem Jahr 2009, als er die Bundesrepublik als »Judenrepublik« titulierte, im Zusammenhang mit Muslimen von »Samenkanonen« sprach und den früheren US-Notenbankchef Alan Greenspan als »Krummnase« bezeichnete.

Weniger bekannt ist eine Rede, die der 51-Jährige ebenfalls 2009 hielt und in der er in typisch antisemitischer Diktion das Bild eines von Israel gesteuerten Deutschlands entwarf, indem er den Bundestag als »Knesset an der Spree« bezeichnete.

Schon die sexualisierte und gewalttätige Sprache von Pastörs und anderen NPD-Anhängern, die von »identitätskastrierten Einheitsmenschen« oder von »Samenkanonen« schwadronieren, zeigt, wie überbeschäftigt man in diesen Kreisen mit sexuellen »Vorgängen« ist. Gleiches gilt für die Kampagnen gegen »Kinderschänder« und Homosexuelle. Es handelt sich um autoritäre Charaktere, die möglicherweise Triebimpulse auf die Außenwelt projizieren; im Faschismus und Nationalsozialismus altbekannte Motive. Holger Apfel ist also sozusagen Opfer der eigenen dumpfen Ideologie geworden. Denn der Vorwurf eines angeblichen Übergriffs auf eine Frau hätte ihn wohl kaum das Amt gekostet.

Die Affäre um den geschassten Parteivorsitzenden Apfel dürfte die NPD so oder so weiter schwächen, denn der Vorwurf des sexuellen Übergriffs, der offenbar gestreut wurde, um Apfel loszuwerden, bleibt auch an der Partei kleben, die sich bei Sexualdelikten mit Forderungen nach drastischen Strafen hervortut.

verbot Einziger verbliebener Konkurrent für den kommissarischen Vorsitzenden Pastörs ist Ex-Parteichef Udo Voigt, der im Berliner Wahlkampf mit der Parole »Gas geben« für sich warb. Letztendlich ist es aber strategisch gleichgültig, ob Voigt oder Pastörs die Partei führen wird: Eine Modernisierung wird es mit keinem von beiden geben. Die NPD verharrt in ihrer NS-Nostalgie, wird weiterhin durch Provokationen und Beleidigungen sowie martialische Aufmärsche für Schlagzeilen sorgen. Durch Wahlen versucht sie, an Geld zu kommen, und setzt ansonsten auf das Motto »Zähne zusammenbeißen und auf die Machtübernahme warten«.

Für das anstehende Verbotsverfahren dürfte der Rückzug von Apfel, der der NPD eine biedere Fassade verpassen wollte, eher günstig sein. Denn sowohl Pastörs als auch Voigt mussten sich für ihre Hetze bereits vor Gericht verantworten. Pastörs gilt sogar als »wandelnder Verbotsgrund«. Ein Verbot der NPD dürfte sich mit solch einem Vorsitzenden noch überzeugender begründen lassen.

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Ahmad Mansour gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025

Paris

EJC warnt vor wachsender Radikalisierung junger Menschen im Netz

»Hass ist viral gegangen«, sagt Moshe Kantor, der Präsident der Organisation

 21.11.2025