Lieber Dieter!
Bitte verzeih, dass ich deinen Geburtstagsbrief mit einem etwas merkwürdigen Geständnis beginne: Am Anfang warst du nur meine Nummer zwei der Graumänner. Es war nämlich deine Frau Simone, die mein Herz im Sturm eroberte und mich zuerst mit der WIZO verkuppelte, um mich anschließend zu einer Reise nach Tel Aviv zu überreden. Bei beiden Ereignissen warst du dabei und seitdem bei vielen anderen. Du bist mein Lebenswegbegleiter. Ich konnte gar nicht anders, als mich in dich zu verlieben.
Mit großer Begeisterung erinnere ich mich an eine deiner ersten Reden als Präsident des Zentralrats der Juden auf dem Frankfurter WIZO Charity Ball »One night for children«. Nicht nur, dass du zehn Minuten lang komplett frei – ohne Zettel oder Teleprompter – geredet hast, und nicht nur, dass jeder Satz geschliffen, jedes Wort messerscharf gewählt war, nein, wie nebenbei sagtest du: »Ich, als Ehemann, wollte es lange nicht wahrhaben, aber es ist, wie es ist – die WIZO-Frauen haben immer recht.«
Womöglich zitiere ich dich nicht ganz zu 100 Prozent wortgetreu, aber das Lachen und der fröhliche Applaus aller 400 Gäste im Saal klingen noch heute in meinen Ohren. Unvergessen ist dein kleines, beinahe schüchternes Lächeln am Ende dieses Eingeständnisses, welches so sehr dein Markenzeichen ist. Man kann dich gar nicht nicht mögen. Im Gegenteil. Immer zieht es mich ganz nah an deine Seite.
Das einzige Thema, welches uns mehr spaltet als vereint, hat viel mit Eintracht zu tun.
Nach vielen Jahren unserer Freundschaft traue ich mich, dir Fragen zu stellen, ohne mir naiv oder gar dumm vorzukommen. Du bist der klügste und belesenste Mensch in meinem Leben, lieber Dieter. Ich liebe es, dir zuzuhören, deine Ansichten zu allen (!) gesellschaftlichen Themen sind spannend, man kann hervorragend mit dir diskutieren, lamentieren und auch schimpfen. Vor allem dann, wenn deine geliebte Eintracht – das einzige Thema, welches uns mehr spaltet als vereint – mal wieder unterirdisch schlecht spielt.
Ich genieße es, dich mit deinem Basecap auf der herrlichen Strandpromenade in Tel Aviv zeitig am Morgen rennen zu sehen. Du bist ein Frühaufsteher. Und ein großartiger Gastgeber bist du auch. So oft durfte ich an Feiertagen am Tisch der Familie Graumann sitzen. Wenn du die Haggada für uns alle am Leil HaSeder vorliest, wird es niemals langweilig. Und wenn du mit engen Freunden Jiddisch palaverst, überwältigen mich große Gefühle. Echt wahr, lieber Dieter.
Ich weiß, dass du in der Zeit, in der du Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland warst, Tag und Nacht arbeitetest. Jedes Interview war wichtig, jede Rede, jeder Auftritt im Fernsehen und Radio. Die Ansichten und Haltungen der deutschen Juden, insbesondere, wenn sie in der Öffentlichkeit stehen, werden hierzulande ganz besonders aufmerksam und kritisch beobachtet. Du warst ein Präsident, der nicht nur in Erscheinung trat, wenn es etwas zu kritisieren gab, nein, du hast dich immer zu gesellschaftlich relevanten Themen geäußert. Klar und deutlich.
Von dir lernte ich, dass man nicht der lauteste Mensch sein muss, damit andere zuhören.
Nie werde ich dein Streitgespräch mit dem Journalisten und »Israelkritiker« Jakob Augstein vergessen. Von dir lernte ich, dass man nicht der lauteste Mensch sein muss, damit andere zuhören. Du bist mein Vorbild, wenn es darum geht, für eine Sache, unsere Sache, einzustehen, mit Wissen, Fakten, Argumenten. Ich vermisse deine Klugheit, deine Redegewandtheit, deine ehrlichen Worte und deinen Mut!
Du hast dich fürs Privatleben entschieden. Und in genau einem dieser privaten Momente wurdest du meine Nummer eins aller männlichen Graumänner, lieber Dieter. Die kleine Bella, damals noch nicht mal ein Jahr alt, saß auf deinem Schoß. Sie drehte ihr Gesichtchen dem deinen zu und fing an, mit den Wimpern zu klimpern.
Und du? Klimpertest zurück. Ich hatte so etwas bis dahin noch niemals gesehen. Es war, als hätten Bella und du eure ganz eigene Opa/Enkeltochter-Sprache. Oder waren es doch Schmetterlingsküsschen, die ihr miteinander austauschtet? So viel Liebe, so viel Zärtlichkeit.
Genau das wünsche ich dir, lieber Dieter. Dass du umgeben bist von herrlichen Dingen, die deiner Seele und deinem Herzen guttun. Und dass du, auch wenn es aktuell eine große Herausforderung für uns alle ist, nicht aufhörst, an Wunder zu glauben. Ich wünsche dir starke Nerven und die Gabe, manchmal nachgeben zu können. Das braucht’s ganz besonders, wenn man mit einer WIZO-Frau verheiratet ist. Oder wie wir beim Fernsehen sagen: Die Ruhe bleibt. Und ja, auch viele, viele Eintracht-Tore. Ich gönne sie dir. Von Herzen.
Ich wünsche dir starke Nerven – und die Gabe, manchmal nachgeben zu können.
Lieber Dieter, danke für deine Freundschaft. Du bist der wichtigste Wegbegleiter meines Sohnes Max, ich fühle mich wahnsinnig geehrt, dich einen engen Freund nennen zu dürfen. Wenn man dich an der Seite hat, fühlt man sich weniger allein.
Oder wie es Mascha Kaléko schreibt: »Man braucht nur eine Insel allein im weiten Meer. Man braucht nur einen Menschen, den braucht man aber sehr.«
Du bist dieser eine Mensch, lieber Dieter, für ganz viele von uns. Für deine Familie, deine Freunde, für all die Menschen, die dich bewundern und verehren.
Pass gut auf dich auf, lieber Dieter. Wir brauchen dich. Mazel tov zum Geburtstag. Ad mea we esrim – bis 120.
Stets und immer, deine Kiwi.
Die Autorin ist Moderatorin beim ZDF und lebt in Israel. Zuletzt erschien von ihr das Buch »Meist sonnig: Eine Liebeserklärung an das Leben« (Eden Books).