Antisemitismus 2.0

»Echte Bedrohung«

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: Thomas Lohnes/ZR

Antisemitismus 2.0

»Echte Bedrohung«

TU-Studie sieht starke Zunahme von Judenhass im Internet. Zentralrat der Juden fordert mehr Aufklärung

 18.07.2018 13:13 Uhr

Antisemitische Äußerungen im Internet haben einer Studie der Technischen Universität (TU) Berlin zufolge in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Eine Untersuchung des Fachbereichs Allgemeine Linguistik zeigt eine Zunahme von antisemitischen Äußerungen im Web von 7,51 Prozent im Jahr 2007 auf mehr als 30 Prozent im Jahr 2017. Untersucht wurden mehrere Hunderttausend Texte und Kommentare im Internet.

Zugleich habe sich die Sprache radikalisiert, sagte Studienautorin Monika Schwarz-Friesel am Mittwoch bei der Vorstellung der Untersuchung. Seit 2009 hätten sich NS-Vergleiche, Gewaltfantasien und drastische, Juden dämonisierende und das Menschsein absprechende Zuschreibungen verdoppelt.

Stereotype Juden würden häufiger in den sozialen Netzwerken, in den Kommentarbereichen der Online-Qualitätsmedien oder in E-Mails als »Krebs«, »Unrat« oder »Pest« bezeichnet, die das »größte Elend der Menschheit sind«. Zu finden seien antisemitische Stereotype praktisch auf allen Portalen einschließlich Fan-Foren oder Verbraucher- und Ratgeberportalen.

So stehe seit 2011 ungelöscht auf dem Portal gutefrage.net die Frage »Wieso sind Juden immer so böse«. Selbst über Twitter, Instagram oder Facebook verbreitete Aufrufe, gegen Judenhass zu demonstrieren, würden »innerhalb weniger Stunden infiltriert durch Text mit zahlreichen Antisemitismen und Abwehrreaktionen«, sagte Schwarz-Friesel. Ein Beispiel ist der Fall des Berliner Gastronomen Yorai Feinberg, der nach Veröffentlichung einer antisemitischen Anfeindung in Netz mit Hasskommentaren- und E-Mails überzogen wird.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete die Ergebnisse der Studien als erschreckend. Die Wissenschaftler hätten nicht nur »ein nie zuvor da gewesenes Ausmaß« an judenfeindlichem Gedankengut festgestellt, sondern sehen das Web 2.0 als Beschleuniger für die Normalisierung von Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft.

Enthemmung Zentralratspräsident Josef Schuster sagte dazu: »Jetzt ist empirisch belegt, was wir schon lange empfinden: Der Antisemitismus in den sozialen Medien nimmt zu und wird aggressiver. Stück für Stück hat eine verbale Radikalisierung und Enthemmung stattgefunden, die uns mit tiefer Sorge erfüllt. Denn Worten folgen irgendwann auch Taten. Antisemitismus im Netz ist kein virtueller Antisemitismus, sondern eine echte Bedrohung.«

Der Zentralrat der Juden fordere daher, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bald auf seine Wirksamkeit hinsichtlich der Eindämmung von Hate Speech zu überprüfen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen. Auch die Aufklärung über Antisemitismus im Netz müsse verstärkt werden.

Für die Langzeitstudie »Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses« wertete ein Team von Wissenschaftlern um die Linguistin und Antisemitismusforscherin zwischen 2014 und 2018 mit einem eigens entwickelten Computerprogramm über 300.000 Texte aus dem Netz aus, darunter über 265.400 Kommentare in den sozialen Netzwerken und 20.000 E-Mails an die Israelische Botschaft und den Zentralrat der Juden.

Israel Über die Hälfte der judenfeindlichen Äußerungen (54 Prozent) sind dabei Stereotype des klassischen Antisemitismus, ein Drittel betrifft den Hass auf Israel (33,35 Prozent) und in über zwölf Prozent der Fälle wird der Holocaust relativiert oder angezweifelt.

»Antisemitismus ist integraler Bestandteil der Netzkultur und ein gesamtgesellschaftliches Phänomen«, sagte Schwarz-Friesel. Die Absender der Kommentare seien gleichermaßen Rechte und Linke oder kämen aus der Mitte der Gesellschaft. epd/ja

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025