Stadtkirche Wittenberg

»Diffamierung von Juden muss der Vergangenheit angehören«

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: Marco Limberg

Stadtkirche Wittenberg

»Diffamierung von Juden muss der Vergangenheit angehören«

Zentralrat der Juden äußert sich zum Urteil des Bundesgerichtshofs

 14.06.2022 13:06 Uhr

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) im Rechtsstreit um die antisemitische Schmähplastik an der Stadtkirche Wittenberg reagiert. »Das Urteil des BGH, dass die Schmähplastik nicht entfernt werden muss, ist nachvollziehbar. Allerdings vermag ich der Begründung des BGH nicht zu folgen«, betonte Zentralratspräsident Josef Schuster am Dienstag.

Denn weder die Bodenplatte noch der erläuternde Schrägaufsteller beinhalten eine eindeutige Verurteilung des judenfeindlichen Bildwerks, so Schuster. Die Kirche müsste sich jedoch klar zu ihrer Schuld bekennen und ihren jahrhundertelangen Antijudaismus verurteilen. Insofern hätte sich der Zentralrat eine deutlichere Positionierung des Bundesgerichtshofs gewünscht.

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Nach Auffassung des BGH indes hatte sich die Kirchengemeinde Wittenberg deutlich von der Judenfeindlichkeit des Sandsteinreliefs distanziert. Die massiv diffamierende Plastik sei durch die späteren Inschriften auf einer Bodenplatte und Erläuterungen in ein Mahnmal zum Zweck des Gedenkens an die Diskriminierung und Verfolgung von Juden umgewandelt worden, so der BGH. Da dadurch der rechtsverletzende Zustand beseitigt worden sei, müsse die Schmähplastik nicht entfernt werden.

»Die Diffamierung von Juden durch die Kirchen muss ein für alle Mal der Vergangenheit angehören«, fordert Josef Schuster. Sowohl die Wittenberger Kirchengemeinde als auch die Kirchen insgesamt müssten nun dringend eine klare und angemessene Lösung für den Umgang mit judenfeindlichen Plastiken finden.

FELIX KLEIN Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, erklärte, judenfeindliche Schmähskulpturen gehörten »zu unserer Vergangenheit, die wir nicht ändern können«. Umso wichtiger sei eine sinnvolle Einordnung: »Dies sah das Gericht im vorliegenden Fall von Wittenberg als gegeben an.«

Das Internationale Auschwitz Komitee übte scharfe Kritik an dem Urteil. »Das heutige Urteil des Bundesgerichtshofes ist nicht nur für Überlebende des Holocaust enttäuschend. Dieses jahrhundertealte Schandmal an einem der wichtigsten Orte des Protestantismus, dessen Botschaft auch nach Auschwitz geführt hat, belastet das Verhältnis zwischen Juden und Christen bis heute«, so Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

»Es tut jüdischen Menschen weh, und es empört sie. Daran ändern auch die mahnenden Worte und Schilder nichts, die das antijüdische Relief heute umgeben und es zum Mahnmal umwidmen. Es wäre immer noch ein Zeichen von großer Einsicht und distanzierender Symbolkraft, wenn das Relief von der Kirche gelöst und in einem musealen Kontext ausgestellt und erklärt würde - ebenso wie die entstandene Leerstelle an der Wittenberger Stadtkirche.«

URTEIL Der BGH hatte heute geurteilt, dass die als Wittenberger »Judensau« bekannte Schmähplastik weiter an der Stadtkirche der Lutherstadt hängen bleiben darf. Die Klage gegen das vorinstanzliche Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg (OLG) wurde abgewiesen.

Der Kläger, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, hatte die Abnahme des Sandsteinreliefs aus dem 13. Jahrhundert gefordert, weil er dadurch das Judentum und sich selbst diffamiert sieht. (Az.: VI ZR 172/20)

Das Relief aus dem Jahr 1290 zeigt in vier Metern Höhe eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen trinken, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Im Judentum gilt ein Schwein als unrein. Die »Judensau« gehört deshalb nach Ansicht des Klägers in ein Museum.

Der Kläger könne nicht die Entfernung verlangen, weil es an einer »gegenwärtigen Rechtsverletzung« fehle, sagte der Vorsitzende Richter des VI. Zivilsenats, Stephan Seiters, am Dienstag in Karlsruhe zur Begründung. Die beklagte Kirchengemeinde habe den ursprünglich rechtsverletzenden Zustand dadurch beseitigt, dass eine Bodenplatte und ein Aufsteller angebracht wurden.

VERHÖHNUNG Isoliert betrachtet, verhöhne und verunglimpfe das Relief das Judentum als Ganzes. Der rechtsverletzende Zustand werde allerdings nicht allein durch die Entfernung, sondern auch durch die Distanzierung beseitigt, so Seiters. Bei Gesamtbetrachtung habe sich die beklagte Kirche durch die Anbringung einer Bodenplatte und eines Aufstellers erfolgreich vom Inhalt des Reliefs distanziert.

»Wir müssen etwas dagegensetzen, das lauter spricht als dieses Schandmal.«

Stadtkirchenpfarrer Alexander Garth

Stadtkirchenpfarrer Alexander Garth zeigte sich nach dem Urteil erleichtert. Gleichzeitig spüre er jedoch eine Verpflichtung, an der Distanzierung weiterzuarbeiten, sagte er vor Journalisten in Karlsruhe. Dies werde die Kirchengemeinde tun. Das Relief sei ein »Schandmal, das den jahrhundertelangen, christlich motivierten Antijudaismus« symbolisiere.

»Wir müssen hier als Christen eine klare Botschaft gegenüber dem jüdischen Volk geben. Wir müssen etwas dagegensetzen, das lauter spricht als dieses Schandmal«, sagte Garth. Wie das konkret aussehen werde, könne er noch nicht sagen. Es solle jedoch zeitgemäß sein.

Zuvor hatte das Oberlandesgericht Naumburg (OLG) bereits entschieden, dass das Relief nicht beseitigt werden muss, weil es seit 1988 in ein Gedenkensemble unter anderem mit erläuterndem Text eingebunden sei. ja/epd

Lesen Sie mehr dazu in unserer Printausgabe am Donnerstag.

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