»Querdenker«

Die Verschwörung

Foto: Getty Images/iStockphoto

War der Sommer 2019 noch geprägt von den meist friedlichen »Fridays for Future«-Demos, so dominieren die zunehmend gewalttätigen »Querdenker«-Truppen den Winter unseres Covid-Missvergnügens. Und während Greta Thunberg »Follow the Science!« rief, leugnen viele der enragierten Maskenverweigerer den Konsens der Virologen und Epidemiologen.

Zu ihnen gesellen sich Gegner der europäischen Klimapolitik, die auch den Konsens der Klimaforscher zurückweisen. Zehntausende, Hunderttausende, vermutlich sehr viel mehr, die mit den Aktivisten sympathisieren, scheinen von einer Welle der Irrationalität erfasst worden zu sein.

misstrauen Freilich hatten die streikenden Schüler vieles gemein mit den wütenden Querdenkern. Da ist die Angst, die Endzeitstimmung, das Misstrauen gegen die globalen politischen und wirtschaftlichen Eliten, die angeblich für Macht und Profit über Leichen gehen.

Und während ein Attila Hildmann und die radikaleren Teile der Querdenker von einem geplanten Genozid an den Völkern des globalen Nordens mittels Zwangsimpfung und Deindustrialisierung im Namen der Klimapolitik halluzinieren, unterstellen Leute wie Roger Hallam von »Extinction Rebellion« den industrialisierten Ländern einen durch industrielles Kohlendioxid induzierten »Ökozid« am globalen Süden.

Auch die Impfgegner, Viren- und Klimawandelleugner berufen sich auf die Wissenschaft.

Und auch die Impfgegner, Viren- und Klimawandelleugner berufen sich auf die Wissenschaft. Sie sehen sich als Kämpfer gegen eine irrationale »Klimareligion« und einen korrupten, wissenschaftlich-industriellen Komplex. Ihrem Selbstverständnis nach leugnen sie keine Fakten; sie haben halt alternative Fakten. Alternative Wissenschaftler.

perversionen Die durch Karl Popper formulierte erste Bedingung wissenschaftlichen Denkens, nämlich die grundsätzliche Offenheit für die Widerlegung von Theorien, wird umgedeutet zum grundsätzlichen Misstrauen gegen Theorien, die unbequem sind. Moderne Verschwörungstheorien sind Perversionen der Aufklärung.

So gäbe es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Fridays for Future und den Querdenkern, außer dass die demonstrierenden Bildungsbürgerkinder bei aller Übertreibung im Kern wissenschaftlich richtig-, während die wütenden Kleinbürger danebenliegen? Abgesehen davon, dass der Unterschied wesentlich ist: Er ist nicht einmal der wichtigste.

Denn zunehmend tauchen bei den Querdenkern Bruchstücke jener Verschwörungstheorie auf, derzufolge die »Globalisten« eine »Neue Weltordnung« anstreben, in der die Völker vermischt und dadurch wehrlos gemacht, die Nationen abgeschafft und durch globale Institutionen ersetzt werden.

imperativ Ein pandemischer Imperativ soll den Weg frei machen für Zwangsimpfungen und Gedankenkontrolle, um den »Großen Reset« und den »Bevölkerungsaustausch«, die Deindustrialisierung und Unterwerfung der weißen Völker durchzusetzen. Und im Zentrum dieser Weltverschwörung steht der Jude George Soros.

Im Zentrum der Weltverschwörung steht der Jude George Soros.

Der Holocaust-Überlebende mutierte mit seiner Wandlung vom Spekulanten zum Philanthropen von einer Hassfigur der Linken zum Lieblingsfeind Wladimir Putins und seiner Trollarmeen sowie der radikalen Rechten in den USA. 2007 wurde schon auf »Fox News« behauptet, Soros wolle die Präsidentschaftswahl kaufen, um Amerika durch eine linke Politik zu zerstören.

Von Russland und Amerika aus wanderte das Soros-Meme wie ein Virus durch die Welt. Ungarns Premier Viktor Orbán kritisiert den – nicht existenten – »Soros-Plan« zur Zerstörung der christlichen Identität Europas durch Zuwanderung. Die deutsche AfD und die italienische Lega bauen Soros als Buhmann auf. Sogar im Kaukasus ist Soros zugange. Den militärischen Konflikt zwischen seinem Land und Armenien bezeichnet der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew »als Kampf gegen Soros«.

rhetorik Der Kaukasus ist eine Sache. Inzwischen kommt die Anti-Soros-Rhetorik jedoch auch aus dem Machtzentrum der westlichen Welt. Kürzlich trat Rudy Giuliani im Hauptquartier der Republikanischen Partei vor die Presse. Der persönliche Rechtsanwalt des US-Präsidenten behauptete wieder einmal, die Wahl Joe Bidens am 3. November sei gefälscht worden.

Die Firma, der man die Auszählung übertragen habe, gehöre zwei Venezolanern, die nicht nur mit dem dortigen Regime sympathisierten, sondern auch enge Geschäftspartner von Soros seien, »dem größten Geldgeber der Demokraten, der Antifa und Black Lives Matter. Was müssen wir noch tun«, so Giuliani weiter, während sich sein Haarfärbemittel in der Hitze auflöste und ihm in zwei schwarzen Rinnsalen über das Gesicht lief, »damit ihr unserem Volk die Wahrheit sagt?«

Die Biedermänner, die das Soros-Virus verbreiten, wissen genau, dass die Brandstifter längst unterwegs sind.

Die Biedermänner, die das Soros-Virus verbreiten, wissen genau, dass die Brandstifter längst unterwegs sind. Und während sie die Unterstellung von sich weisen, Antisemiten zu sein, schließlich kritisieren sie nur einen Juden und nicht etwa alle, verstehen die sogenannten einsamen Wölfe ihre Worte so gut wie hiesige Franchise-Islamisten die Videos des IS. Die Attentäter von Christchurch, Pittsburgh und Halle wiederholten in ihren Manifesten Bruchstücke jener Theorien, die auf Querdenker-Demos in Berlin die Runde machen.

Das Bündnis eines Teils der Elite mit dem Mob ist eine Voraussetzung des Faschismus, schrieb Hannah Arendt. Vor unseren Augen wird dieses Bündnis geschmiedet.

Der Autor schreibt für die »Welt« und betreibt den Blog »Starke Meinungen«.

Umfrage

Deutliche Mehrheit steht hinter Waffen-Lieferstopp für Israel

In der Union sind nicht alle einverstanden. Die Mehrheit der Bevölkerung hat der Kanzler aber hinter sich, obwohl sich Israel gegen eine Terrororganisation wehrt, die den jüdischen Staat erklärtermaßen vernichten will

 20.08.2025

Faktencheck

Ludwigshafen, Oberbürgermeisterin  Steinruck und der Ausschluss eines AfD-Kandidaten

Der Ausschluss von Joachim Paul löst Wut bei Anhängern der rechtsextremen Partei aus. Über die Amtsinhaberin werden unterdessen falsche Behauptungen verbreitet

 19.08.2025

Genf

Francesca Albanese verteidigt Hamas unverblümt – NGO fordert Konsequenzen

»Es ist entscheidend, dass man versteht, dass man bei Hamas nicht unbedingt an Halsabschneider denken sollte«, sagt die UNO-Berichterstatterin. Für UN Watch ist das Maß voll

von Imanuel Marcus  19.08.2025

Meinung

Diktatfrieden abgewandt?

Das Treffen zwischen Donald Trump, Wolodymyr Selenskyj und europäischen Spitzenpolitikern lief besser als erwartet. Doch es ist fraglich, wie lange die Erleichterung anhält

von Nils Kottmann  19.08.2025

Schweiz

Ein Mandat, das für Irritationen sorgt

Der World Jewish Congress fordert von der UBS mehrere Milliarden Dollar Entschädigung und holt dafür Urs Rohner, Ex-Verwaltungsratspräsident der früheren Credit Suisse, ins Boot

 19.08.2025

Statistik

Thüringen zählt die meisten antisemitischen Vorfälle im Osten

Verunstaltete Stolpersteine, judenfeindliche Sprüche an Wänden, Bedrohungen: Antisemitismus hat in Thüringen einen neuen Höchststand erreicht. Besonders beunruhigend seien laut des Jahresberichts der Meldestelle RIAS neue Entwicklungen

von Jonas Grimm  19.08.2025

Berlin

Cyber-Attacke auf Justizsenatorin Badenberg

Die Hacker gaben sich als ranghoher Vertreter des Zentralrats der Juden aus

 19.08.2025

Potsdam

»Flut antisemitischer Vorfälle« in Brandenburg

Büttner erlebe auch »abartige Beleidigungen« aus der eigenen Partei

 19.08.2025

Washington D.C.

US-Justizministerium will Kongress Epstein-Akten übergeben

Die Affäre um den Sexualstraftäter Jeffrey Epstein beschäftigt auch Jahre nach dessen Tod die USA

 19.08.2025