Volkstrauertag

»Die Namen dieser Orte zu kennen, macht einen Unterschied«

Volkstrauertag: Kranzniederlegung am Sonntag in der Neuen Wache Berlin Foto: imago images/Bernd Elmenthaler

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Volkstrauertag an die Opfer von Gewalt und Krieg überall auf der Welt gedacht. Steinmeier beklagte am Sonntag beim zentralen Gedenken zum Volkstrauertag im Bundestag in Berlin , viele Orte deutscher Verbrechen im Zweiten Weltkrieg etwa im Osten und Südosten Europas seien in Deutschland aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt.

Gedenken setze aber ein gemeinsames Gedächtnis voraus, »einen Raum für Erinnerungen, die wir teilen, in Deutschland, in Europa. Namen, Orte und Ereignisse, die in ein solches gemeinsames Gedächtnis eingeschrieben sind.«

Der Name Auschwitz sei »zum Inbegriff des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden geworden«, sagte der Bundespräsident. Doch über eine Karte, die die zahllosen anderen Orte deutscher Verbrechen jenseits der Vernichtungslager in Belarus, der Ukraine, Russland und anderswo im Osten Europas verzeichne, verfüge das gemeinsame Gedächtnis nicht, beklagte Steinmeier.

»Die Namen dieser Orte zu kennen, macht einen Unterschied«, betonte Steinmeier. »Für unser Selbstverständnis als Nation ebenso wie für ein gemeinsames Verständnis als Europäer auf diesem Kontinent.«

Die Gedenkstunde unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas stand im Zeichen der Erinnerung an den grausamen und verlustreichen Angriffs- und Vernichtungskrieg in Ost- und Südosteuropa, der vor 80 Jahren mit der Besetzung von Jugoslawien und Griechenland sowie dem Überfall auf die Sowjetunion begonnen hatte.

Steinmeier hatte zuvor gemeinsam mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer an der Kranzniederlegung zum Volkstrauertag an der Neuen Wache teilgenommen. Die Neue Wache in Berlin-Mitte am Boulevard Unter den Linden ist seit 1993 die zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer der Kriege und der Gewaltherrschaft.

Der Volkstrauertag ist ein staatlicher Gedenktag - immer zwei Sonntage vor dem ersten Advent. Er wird in Deutschland seit 1919 begangen - ursprünglich, um Solidarität mit den Hinterbliebenen der Opfer des Ersten Weltkriegs zu zeigen. Inzwischen gedenkt die Bundesrepublik aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Zuvor hatte das Staatsoberhaupt eine stärkere Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Bundeswehr als Parlamentsarmee angemahnt. »Wir müssen Sprachlosigkeit überwinden - auch die Sprachlosigkeit vieler Teile der Gesellschaft gegenüber unserer Armee. Auch das ist Auftrag an einem solchen Tag«, sagte Steinmeier. Die Verantwortung vor der deutschen Geschichte anzunehmen, »darf nicht bedeuten, die Auseinandersetzung mit den Konflikten der Gegenwart zu scheuen und mit denen, die darin schwere und schwerste Verantwortung tragen«.

Das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Armee werde von der Erfahrung zweier Weltkriege, Schuld und Scham geprägt, sagte Steinmeier. Die Bundeswehr stehe als Parlamentsarmee unverrückbar auf dem Boden der demokratischen Verfassung. Doch wenn die »Staatsbürger in Uniform« als Soldaten geehrt werden sollten, wie kürzlich vor dem Reichstagsgebäude, sähen viele Bürgerinnen und Bürger sie wohl »am Ende lieber in Zivil und ohne Fackel in der Hand«.

Mitte Oktober hatten Bundestag und Bundesregierung die insgesamt etwa 90 000 im kürzlich beendeten Afghanistan-Einsatz eingesetzten Männer und Frauen der Bundeswehr mit einem Großen Zapfenstreich gewürdigt, dem höchsten militärischen Zeremoniell der deutschen Streitkräfte. Die Bilder von Soldaten mit Fackeln vor dem Reichstagsgebäude hatten im Netz teilweise Befremdung und Kritik ausgelöst. Eine Reihe von Twitter-Nutzern fühlte sich an die NS-Zeit erinnert.

Viele Deutsche empfänden Unbehagen vor militärischen Ritualen, sagte der Bundespräsident nun. »Sie wollen nicht daran erinnert werden, was der Einsatz einer Armee, auch der Bundeswehr, bedeutet. Tod und Trauma, deutsche Soldaten im bewaffneten Einsatz, in fremden Ländern - das verdrängen wir Deutsche gern.«

Für ein Land, dessen Name mit dem unendlichen Leid verbunden bleibe, das zwei Weltkriege über Europa gebracht habe, dessen damalige Armee sich eines mörderischen Angriffskrieges schuldig gemacht habe, »mag manches Unbehagen verständlich sein«, sagte Steinmeier. Das mache es aber jenen, die ihr Leben für das Land riskierten, den Veteraninnen und Veteranen der Auslandseinsätze und erst Recht den Familien der Gefallenen nicht leicht. »Denn ihr Trauma, ihr Verlust, ihre Angst, Schmerz oder Scham verschwinden nicht, nur weil viele andere die Augen davor verschließen. Eher im Gegenteil.« Was die Gesellschaft verdränge und verschweige, bleibe sie den Soldaten, Versehrten, Gefallenen und deren Familien schuldig.

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025

Dortmund

Ermittlungen gegen Wachmann von NS-Gefangenenlager 

Die Polizei ermittelt gegen einen Ex-Wachmann des früheren NS-Kriegsgefangenenlagers in Hemer. Er soll an Tötungen beteiligt gewesen sein - und ist laut »Bild« inzwischen 100 Jahre alt

 22.11.2025

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Kommentar

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Martin Hikel, Neukölln und die Kapitulation der Berliner SPD vor dem antisemitischen Zeitgeist

Der bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025