Extremismus

»Die Lage ist schlimm«

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Foto: imago

Der Verfassungsschutz erkennt bei einigen Vertretern der sogenannten Neuen Rechten und des Rechtsaußen-Flügels der AfD antisemitische Denkmuster. Als »Neue Rechte« bezeichnet der Verfassungsschutz ein informelles Netzwerk, in dem rechtsextremistische bis rechtskonservative Kräfte verortet werden.

Dazu zählt der Inlandsgeheimnis beispielsweise das Compact-Magazin und das Institut des Verlegers Götz Kubitschek, das Verbindungen zum rechtsnationalen AfD-Flügel pflegt.

LAGEBERICHT In einem am Montag veröffentlichten Lagebild der Behörde zu Antisemitismus in Deutschland heißt es: »Das eine Lager verteidigt das Existenzrecht Israels, die israelische Außen- und Sicherheitspolitik und sieht sich zudem in einer christlich-jüdischen Tradition stehend, die es etwa in erster Linie gegen den (politischen) Islam zu verteidigen gelte.«

Das andere Lager innerhalb der Neuen Rechten sei dagegen »antiimperialistisch« und israelfeindlich. Diese Menschen und Gruppierungen sähen den ideologischen Hauptfeind stärker im Liberalismus als im Islamismus.

Am stärksten verbreitet ist Judenfeindschaft laut einem Lagebild des Verfassungsschutzes unter Rechtsextremisten.

Nach Einschätzung der Behörde tauchen auch in den Äußerungen einzelner Vertreter des inzwischen offiziell aufgelösten »Flügels« der AfD »antisemitische Versatzstücke« auf. Als ein Beispiel dafür werden in dem Bericht Verlautbarungen des Thüringer AfD-Landeschefs Björn Höcke angeführt.

ISLAMISTEN Die Zahl der antisemitischen Gewalttaten hat sich laut Polizeistatistik zwischen 2017 und 2019 nahezu verdoppelt. Diese Entwicklung sei »erschreckend«, erklärte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang. Judenfeindschaft sei zwar grundsätzlich in allen extremistischen Phänomenbereichen präsent.

»Wenn mir jüdische Bürgerinnen und Bürger sagen, dass sie sich fragen, wann der Zeitpunkt erreicht ist, Deutschland zu verlassen - dass sie überhaupt schon an diesem Punkt sind: Dann ist die Lage schlimm.« Dabei gebe es auch »Formen des Alltagsantisemitismus und antisemitische Ressentiments, die außerhalb unserer behördlichen Zuständigkeit liegen - mitunter bis hinein in bürgerliche Kreise«.

Im Linksextremismus besitze der Antisemitismus »nachrangige Bedeutung«. Unter Islamisten seien verschiedene Formen des Antisemitismus zu beobachten, den höchsten Stellenwert innerhalb dieses Spektrums besitze gleichwohl der »gegen den «Judenstaat Israel» gerichtete antizionistische Antisemitismus«.

Antisemitische Ressentiments und Hetze beobachten die Sicherheitsbehörden bei Extremisten verschiedener Couleur.

Knapp 85 Prozent der 73 antisemitischen Gewalttaten des vergangenen Jahres waren laut Polizei rechtsextremistisch motiviert. »Insbesondere das Internet ist ein wesentlicher Dynamisierungsfaktor für die Verbreitung antisemitischer Hetze«, stellte der Verfassungsschutz fest. Das hat auch Folgen außerhalb der virtuellen Welt.

HALLE Eine »enorme Internetradikalisierung« konstatiert die Behörde beispielsweise bei dem Attentäter von Halle. Der zurückgezogen lebende Rechtsextremist hatte am 9. Oktober 2019 mit Sprengstoff und Schusswaffen versucht, an einem jüdischen Feiertag in eine Synagoge einzudringen. Als ihm das nicht gelang, erschoss er eine Passantin und einen Mann in einem Döner-Imbiss.

Das Lagebild des Verfassungsschutzes sei ein sinnvoller Schritt, um vor der tiefsitzenden Verwurzelung des Antisemitismus zu warnen, sagte der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Um aber auch »das große Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle, die gar nicht gemeldet werden«, zu erfassen, sollte ein Netzwerk von Beratungs- und Meldestellen für antisemitische Vorfälle in allen Bundesländern etabliert und finanziert werden. dpa

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